KATHARINA GRANZIN CRIME SCENE
: Schöne Claire im roten Kleid

Was soll ein trauriger dicker Landtierarzt tun, wenn er, mit dem Auto unterwegs zu einem kranken Stück Vieh, eine schöne Frau zusammengeschlagen neben der Straße findet? Bélouard, der unwahrscheinliche Held dieses wundersamen Stücks Kriminalliteratur mit dem Titel „Ein Morgen wie jeder andere“, nimmt sie mit nach Hause. Die geheimnisvolle Claire, deren schweigsamer Mann weithin für seine Gewalttätigkeit bekannt ist, bleibt; und der Veterinär hegt und pflegt sie wie ein verletztes Reh. Doch ihre Anwesenheit wirft ihn nicht wenig aus der Bahn – umso mehr, als ihr Auftauchen in seinem Leben zeitlich mit einem grauenhaften Verbrechen zusammentrifft, das im Landkreis geschehen ist. Eine ganze Familie ist ermordet aufgefunden worden, Vater, Kinder, und ganz zuletzt, als verkohlte Leiche in einer Waldhütte, die Mutter.

Zwar scheint es keinen Zusammenhang zwischen beiden Ereignissen zu geben, doch Bélouard, hin und her gerissen zwischen Hoffnung und Resignation, was die eventuellen Gefühle der gefundenen Frau ihm gegenüber angeht, ist beunruhigt. Die sympathischen Kriminalpolizisten, die aus der Stadt gesandt wurden, den Fall aufzuklären, finden keinen Draht zur Landbevölkerung und machen entsprechend wenig Fortschritte. Weniger aus Erkenntnisdrang denn aus dem Bedürfnis heraus, der eigenen Beunruhigung Herr zu werden, nimmt Bélouard eigene Ermittlungen auf, derweil die schöne Claire in ihrem roten Kleid auf seinem Sofa sitzt und ihm den Atem raubt.

Für eine solche Geschichte kann es kein glückliches Ende geben. Diese den Roman durchtränkende Einsicht sorgt dafür, dass man, gleich Bélouard, fast widerstrebend der Auflösung des „Wer war es?“ entgegensieht. Und wenngleich Autor Christian Pernath mit einer überraschenden Lösung aufwartet, ist es nicht die Erwartung einer solchen, die den Leser an dieses Buch fesselt, sondern seine umwerfend lakonische Melancholie. KATHARINA GRANZIN

Christian Pernath: „Ein Morgen wie jeder andere“. Aus dem Französischen von Nathalie Mälzer-Semlinger. dtv, München 2009. 217 Seiten, 14,90 Euro