Kafkas inspiriertes Schreiben

NACHSCHLAGEN Aktuelle Blicke auf alte Bücher oder: Auch eine Leistungsschau der gegenwärtigen Literaturwissenschaft. Das „Kindlers Literatur Lexikon“ im Test (4)

Was man von einer Neuauflage des „Kindlers Literatur Lexikon“ erwartet: nicht nur Einträge zu neueren Büchern, sondern auch aktuelle Blicke auf alte Bücher. Dies Lexikon ist schließlich auch eine Leistungsschau der gegenwärtigen Literaturwissenschaft.

Franz Kafka ist da ein guter Lackmustest – wahrscheinlich der Schriftsteller der Moderne, der am meisten unter Deutungen begraben liegt. Es ist in dem beschränkten Raum eines Lexikoneintrags gewiss nicht leicht, souverän durch die Rezeptionsgeschichte dieses Autors zu navigieren und den Leser nicht zugleich mit Deutungsmustern, Gegendeutungsmustern und aktuellen Modedeutungsmustern zu erschlagen. Außerdem sollte ja noch ein Eindruck davon vermittelt werden, wie lohnend es als Leser ist, Kafka keineswegs unter dem im Deutschunterricht vermittelten Klischee des Kafkaesken abzuhaken, sondern ihn für sich neu zu entdecken.

Der Nachlass Kafkas wird unter einem Sammeleintrag abgehandelt. Das hat den Nachteil, dass einzelne Texte nur gestreift werden können – und gerade die späten Sachen wie „Der Bau“ oder „Forschungen eines Hundes“ sind ja die wirklich großen, unfassbar tollen Texte Kafkas. Aber es hat den Vorteil, das Schreiben dieses Autors in seinen realen Kontext setzen zu können: durchschriebene Nächte, Hefte voller verworfener Erzählungen, Textanfänge, Textabbrüche, Fragmente. „Gültiges Schreiben war für Kafka inspiriertes Schreiben, ohne vorgefassten Plan, ohne abstrahierbaren gedanklichen Gehalt, getragen allein vom Entfaltungs- und Bedeutungspotential seiner Bilder und Geschichten.“ So beginnt der Literaturprofessor Manfred Engel den von ihm verfassten Nachlass-Eintrag. Das ist ein überzeugender Anfang. Er verkitscht Kafka nicht zum immer wieder Scheiternden. Sondern er versucht – „inspiriertes Schreiben“ – den inneren Motor von Kafkas Schreibansatz positiv zu fassen. Auch sonst ist der Eintrag überzeugend. Interessant auch Michael Müllers Eintrag zum „Hungerkünstler“-Band. Auch gut: Sekundärliteratur bis einschließlich des Jahres 2008 ist berücksichtigt. DRK

(wird fortgesetzt)