Japanischer Filmklassiker im Kino: "Tokyo Monogatari" reloaded

"Tokyo Monogatari - Reise nach Tokio" von Yazujiro Ozu kommt wieder ins Kino. der Film von 1953 ist ein Klassiker des japanischen Films.

Das Schicksal vollzieht sich ruhig und unerbittlich. Bild: verleih

Bresson, Dreyer, Ozu - das sind die drei großen Konservativen unter den Klassikern, auf die sich alle, insbesondere aber die rebellischen und revolutionären Filmemacher von Paul Schrader bis Straub/Huillet einigen können. Yazujiro Ozu war ein Meister seiner eigenen Standards und oft wiederholten Themen, Konstellationen und ästhetischen Prinzipien. Mehr als fünf seiner Spielfilme tragen die Stadt Tokio im Titel, mehr als fünf heißen nach familiären Beziehungen, und genau fünfmal ist von einer Jahreszeit die Rede. Die nun neu gestartete "Reise nach Tokio" ("Tokyo monogatari") von 1953 erzählt nicht nur eine Familiengeschichte und gibt Einblicke in die Unterschiede zwischen einem ruhigen Landleben und großstädtischer Hektik und Konkurrenz, die alle menschlichen Beziehungen ruiniert. Sie kostet auch Ozus Lieblingsstimmung einer unendlich melancholischen Lebenseinstellung aus. Das Leben besteht nicht aus Entscheidungen, Dramen und Einschnitten. Im gemächlichen Tempo, mit der Unabwendbarkeit des Jahreszeitenwechsels vollzieht sich das individuelle Schicksal, das am Ende im besten Fall nichts anderes war als eine Funktion in der Familie.

Die Eltern, die hier nach Tokio reisen, um ihre beiden ältesten Kinder zu besuchen (einen hektischen Arzt mit schlecht erzogenen Kindern und eine verschlagene Schönheitssalonbesitzerin), werden unausgesetzt enttäuscht, freuen sich aber, dass ihre Kinder "besser als der Durchschnitt" sind und es im Leben zu was gebracht haben. Nett behandelt werden sie nur von ihrer Schwiegertochter Noriko, der aufopferungsvollen Witwe ihres gefallenen Sohnes. "Heißen nicht alle Frauen bei Ozu Noriko?", dachte ich mir, als ich mir ihr niederschmetternd unglückliches, gleichwohl geduldig lächelnd vorgetragenes Credo der Pflicht und des Verzichts anhörte. Buddhismus als Turboprotestantismus. Nein, nicht alle heißen so, aber tatsächlich spricht der Kenner von einer "Noriko-Trilogie", in der Setsuko Hara dreimal hintereinander drei verschiedene Figuren des gleichen Namens und ähnlichen Charakters dargestellt hat: den alten Vater pflegende unverheiratete Töchter oder vorbildliche Witwen eben. Hara nannte man in den 50ern die "ewige Jungfrau".

Man kann sich von seiner Moral einen Ozu-Film so verderben lassen wie auch einen Ford-Film von seinem Patriarchentum. Man muss aber nicht, man sollte vor allem nicht. Es ist schwer, ein so vollendet unauffällig treffendes, unmarkiert ökonomisches und auf den Punkt genaues Erzählen zu würdigen, indem man einzelne besonders gelungene Momente herauslöst. Dass man sich zum Beispiel an den Oberleitungen und Telefondrähten nicht satt sehen kann, hat nichts damit zu tun, dass Ozu erfunden hätte, wie man diese besonders schön fotografiert. Es liegt daran, wie ihre Aufnahmen in einen Weg zum Bahnhof und den Beginn einer Eisenbahnreise eingebaut sind: eine knappe Öffnung in einen geregelten Ablauf einfügend. Überhaupt werden immer genau und knapp gebaute Anfänge komponiert, der Rest einer Erzählepisode aber nur angekündigt. Dann erfährt man, dass schon alles passiert ist und das nächste Ereignis auf uns wartet.

Man könnte auch von den vielen Szenen auf Deichen, Brücken und anderen horizontal die Bildmitte querenden Quasi-Bühnen schwärmen. Aber auch das wäre prätentiös. Es geht ja eher darum, dass einem alles so richtig erscheint, ohne dass man im Moment dieser Empfindung wüsste, woran das liegt.

Es wäre verfehlt, diese Gelungenheiten als ästhetische Seite der Bescheidenheitsethik zu verklären, von der die Filme handeln: als ein Offenhalten. Es sind eher Akte großer Entschieden- und Bestimmtheit, die diesen Film ausmachen. Sein für Ozus Verhältnisse relativer Reichtum an Schauplätzen (von der Kneipe bis zum Kurort am Meer) und Wendungen des Erzählflusses öffnet gerade nicht auf mögliche andere Perspektiven: Es ist alles erbarmungslos festgelegt. Gerade vor der Kulisse von Bestimmtheit gedeiht aber dieses fatalistisch traurige Lebensgefühl und dehnt sich bis zu der bitter erhabenen Empfindung, dass jenseits der Regeln eben nichts ist als Vergänglichkeit und grenzenlose Enttäuschung.

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