Buchkritik Gerhard Richter: Wider den deutschen Forst

Gerhard Richter fotografiert den Wald und bleibt dabei am Boden. Denn nur von oben lässt sich eine aus Bäumen gepflanzte Hakenkreuzstruktur erkennen.

Von Unten betrachtet: Farbiges Laub vor Wolkenhimmel. Bild: Per Ola Wiberg - Lizenz: CC-BY

Wer im Wald steht, sieht den Wald nicht. Im Unterschied zu Wüsten, Steppen, Savannen und selbst Mooren und Sümpfen mit ihren Schilf- und Röhrichtdickichten, die immer auch einen Blick auf das Ganze der Landschaft freigeben, ist im Wald der Blick auf den Wald ausgeschlossen.

Schon auf dem Umschlagfoto von Gerhard Richters Herbstzeitstudie "Wald" werden die Grenzen des Blicks im Wald klar: Man sieht nur die Stämme der Bäume im Ausschnitt. Die stehen zwar einigermaßen gerade nebeneinander, nur ein dünner Stamm hängt schief im Bild, sie bleiben aber ohne Wurzel und Krone. Und auch wenn die Wurzeln später auf anderen Bildern, sehr dunkel mit Erde behaftet, an einigen von starkem Wind umgerissenen Stämmen sichtbar werden, liegt darin bereits ein Statement Richters.

Er verweigert den Aufblick auf den Wald. Das Kronendach des Waldes ist dem Spaziergänger Richter nicht zugänglich. Er bleibt am Boden. Das ist, wenn es um den Wald geht, weniger deutsch, als man bei Richter erwartet hätte. Man muss nur an den Lärchenwald von Zernikow in Brandenburg erinnern, dessen darin angepflanzte Hakenkreuzstruktur man nur von oben mit einem Blick auf das Walddach aus dem Flugzeug erkennen und sehen konnte.

Richter trifft mit der Wahl seiner Bäume aber noch ein paar andere, fast schon antideutsch zu nennende Entscheidungen. Es sind offensichtlich Laubbäume, denen er sich zuwendet. Das steht gegen die unheimliche Vorliebe deutscher Maler von Caspar David Friedrich bis Neo Rauch für Nadelbäume. Es sind eindeutig Nadelgehölze, streng soldatisch in Reihe stehend, die auf Caspar David Friedrichs Gemälde der "Chasseur im Walde" von 1813 den napoleonischen Soldaten umrahmen und mit dem baldigen Tode bedrohen. Richters Wald dagegen ist in der Stoßrichtung nicht antifranzösisch. Auch das ist keine Marginalie.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden die heftigen Aufforstungen in Deutschland entschieden auch als mehr oder weniger stiller Widerstand gegen Frankreich angesehen. So forderte zum Beispiel der als "Turnvater" hierzulande bekannte Friedrich Ludwig Jahn, man solle an der Grenze zu Frankreich einen undurchdringlichen Wald pflanzen.

Etymologisch war Jahn damit natürlich auf der richtigen Spur. Denn die Forsten, die die deutschen Kleinstaaten von ihren Förstern geordnet anpflanzen ließen, leiten sich im Wort vom lateinischen "forestare" ab, was nichts anderes als "fernhalten, den Zutritt verwehren, ausschließen" heißt. Wenn Richter also dem Fotoensemble seiner Bäume den Titel "Wald" gibt, richtet er sich auch gegen den Ausschlusscharakter der deutschen Forsten.

Das ist ein nominalistischer Akt, denn natürlich ist auch Richters Wald ein Forst. Einfach deshalb, weil es in Deutschland keine Wälder mehr gibt, die nicht von Menschenhand gestaltet, angepflanzt oder verändert worden wären. Und in Deutschland liegt Richters Wald beziehungsweise Forst.

Seine Fotos sind seit dem Winter 2005/06 im Wald in der Nähe seines Hauses in Köln-Hahnewald entstanden. 285 jeweils ganzseitige Fotos hat er aus seinem Bestand ausgewählt. Die Bilder lassen keinen Zweifel daran, dass der Wald bewirtschaftet wird. Manche Stämme liegen gerade mit der Motorsäge bearbeitet und gefällt am Boden.

Auf vielen Fotos stehen die Bäume gerade und im geregelten Abstand nebeneinander. Manche Stämme sind von Wind und Wetter gefällt worden. Viele Bilder wirken sonnendurchflutet und lassen die Schatten anderer Bäume aufscheinen. Möglich wird es, weil die Blätter im Spätherbst abgefallen sind und nur noch als Laub am Boden liegen oder klein und vertrocknet an den Ästen hängen. Seltener war es aber auch bewölkt, dann wirken die Fotos fast schwarz-weiß, was noch durch etwas Schnee am Boden verstärkt wird.

Obwohl die Blätter vergilbt sind, scheint oft ein wunderschönes Grün in den Bildern auf. Das stammt von Moosen, die den Fuß der Stämme bewachsen oder am Boden gedeihen. Richter liefert damit eine der schönsten Studien des spätherbstlichen Moosgrüns. Wie überhaupt seine Fotos auch als Lichtstudien von Herbst und Winter im Hahnewald gelten können.

Er hat aber auch noch Text auf die Seiten gesetzt, der allerdings nicht mehr zu entziffern ist, weil er alle Wörter mit einem Zufallsgenerator gemischt und alle Eigennamen entfernt hat. Interessant ist dabei die Quelle, aus der er die Vorlagen genommen hat. Sie entstammen Aufsätzen aus der Fachzeitschrift Waldung - Magazin für Wald, Wandern, Wissen, die in nur einer Nummer im Jahr 2006 erschienen ist und deren Titel man auch als Programm für Richters "Wald" lesen kann. Das muss man aber wissen, das Buch selbst nennt diese Quelle nicht. Das ist der einzige Punkt, der an diesem Buch nicht in Ordnung ist.

Gerhard Richter: "Wald". Buchhandlung Walter König, Köln 2009, 396 S., mit 285 farb. ganzseit. Abb., 58 €

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