Hitparade des Kunstbetriebs

POWER 100 Das Kunstmagazin „Art Review“ versieht die Liste der einflussreichsten Protagonisten des Kunstbetriebs 2009 mit überraschenden Neueinsteigern

„Ich habe mich immer über die Liste lustig gemacht. Doch seit ich drin bin, graut es mir davor, von ihr heruntergenommen zu werden.“ Der New Yorker Starkunstkritiker Jerry Saltz sprach von keiner Nominiertenliste für einen renommierten Literaturpreis. Er meinte die Power-100-Liste, in der das Kunstmagazin Art Review einmal im Jahr die „Einflussreichen“ des Kunstbetriebs benennt.

Die meisten begegnen dem Erscheinen der jährlich neuen Platzierungen mit ähnlich demonstrativer Gleichgültigkeit wie der Bild-Zeitung: Niemand nimmt sie ernst, doch liegt sie irgendwo rum, gucken trotzdem alle rein. Nur die Medien greifen die Liste jedes Jahr dankbar auf und analysieren die Platzierungen wie komplizierte Wirtschaftskurven. Warum ist Gerhard Richter so jäh abgestürzt? Sollte man besser nichts mehr von ihm kaufen? Wo bleiben die mächtigen Frauen, ist das Genre also immer noch so männerdominiert?

Absturz von 1 auf 48

In diesem Jahr glich die Entscheidung über die Erstplatzierung eher einem tosenden Fantasystreifen, in dem die gute Macht über die böse siegt, die Kritik über den Konsum, das Wissen über Weltbeherrschungsbestrebungen. Die Rede ist von Damien Hirsts Absturz um fast 50 Plätze von Platz 1 (2008) auf Platz 48.

Damals befand er sich auf der Höhe seines Geld-Macht-Maximierungswahns, er war das Symbol für das Gigantische, das Grelle, das Unbezahlbare des Kunstmarkts geworden. Nun, mit dem Platzen der Blase, für das Hirst anscheinend symbolisch auf der Liste geopfert wurde wie eines seiner goldenen Kälber, kommt das Gute und Reflektierte in Form der diesjährigen Nummer 1: Londons Superkurator Hans-Ulrich Obrist.

Und das Schönste kommt noch: Nicht nur ist Damien Hirst auf Platz 48 gelandet, in Nachbarschaft mit dem US-amerikanischen Leidensgenossen, dem Appropriation-Art-Künstler Richard Prince (47). Zwei Plätze vor ihm, auf Platz 46, liegt ein großartiger, hitparadenmäßiger „Neueinsteiger“: der Kritiker und taz-Autor Diedrich Diederichsen. Und das, noch bevor dieser Tage bekannt wurde, dass er ins Präsidium der Berliner Neuen Gesellschaft für bildende Kunst (NGBK) aufgenommen wurde, des letzten deutschen Kunstvereins, in dem die aktiven Vereinsmitglieder das Programm selbst gestalten dürfen.

JULIA GROSSE