Öfter mal ausatmen

DÄNISCHER GRENZGÄNGER Raz Ohara sollte als neuer Prince verkauft werden, hat aber mit dem Odd Orchestra seinen Weg gefunden

Ein gelungener Spagat zwischen kalter Clubakustik und warmen Waldharmonien

VON LAURA EWERT

„Komme 10 min später“, steht in der SMS. Klar, Künstlerklischee: Zu spät. Dann steht Raz Ohara an der Kreuzberger Kreuzung. Sieht sich etwas verloren um, obwohl er ganz genau weiß, in welche Richtung er laufen muss. Er wuchtet ein großes Paket vor sich her. „Neue Mikrofone und Mixer“, erzählt er.

Zusammen mit seiner Band The Odd Orchestra probt er gerade das neue Material für ein Live-Set. Man wolle möglichst ohne Laptop spielen, dann sei man unabhängiger. Das sagt ausgerechnet Raz Ohara, der sein aktuelles Album „II“ auf dem Berliner Technolabel Get Physical veröffentlicht. Und mit Elektromusikern wie Alexander Kowalski viele Clubs bespielt, dessen letztes Album etwas Elektronisches, Anorganisches hatte. Geht der Trend wieder zum Analogen?

„Wir haben Bock drauf“, so Raz Ohara, der auch gerne mal barfuß am Klavier sitzt. Er spricht ruhig, überlegt, sein Blick ist fordernd, manchmal sogar durchdringend und dann plötzlich wieder im Leeren suchend.

Raz Ohara heißt eigentlich Patrick Rasmussen, aber so nennt ihn keiner mehr. Manche sagen „Räss“, manche „Rahs“. Als 18-Jähriger kam er aus Dänemark nach Berlin, trieb sich hungrig durch die Stadt. Ließ sich treiben, entlang von Rausch und Wahnsinn.

Dann nahm er 1999 sein Debütalbum „Realtime Voyeur“ auf. Eine Art elektronische Singer-Songwriter-Musik. Er, der Künstler, seine Gitarre und der Schmerz. Ein wenig Elektronik dazu, wie es sich für die späten Neunziger gehört. Das Label Kitty Yo verkauft ihn absurderweise als den neuen Prince. Das hat so richtig nicht geklappt, aber die, die dieses Album haben, verehren es bis heute.

Zwei Jahre später erscheint das minimalistische und angenehm bedrückende Album „The Last Legend“. Eine Bestandsaufnahme, ein Sezieren seiner Gefühlswelt. Er verarbeitet den Tod seines Vaters auf hoher See. Die Mädchen sind hin und weg. Dann war es eine Zeit lang eher ruhig um den Musiker, wie man so sagt. Er spielte ein paar Techno-Live-Sets, versuchte hier etwas, dort. Gründete eine Familie.

„Isolation ist ein natürlicher Gefühlszustand. Wir sollten ihn nicht immer so negativ sehen. Man kann sich darin verstecken und ausruhen“, sagte Raz Ohara mal und so hörte sich seine Musik bislang auch an. Ein Fragen, ein müdes Klagen aus isolierter Welt. Hektisches, ahnungsloses Atmen machte den Gesang aus. Dann sang er auf dem Album von Apparat, tourte mit um die Welt, um 2008 das erste, unbetitelte Album mit dem Odd Orchestra aufzunehmen.

Klänge wie erzählte Geschichten

Oliver Doerell, der bisher mit dem Ambient-Projekt Dictaphone begeisterte, entwickelte mit Ohara elf beeindruckende Elektropop-Songs, die an ihrer Entrücktheit nichts verloren hatten, aber einheitlicher erschienen, als die früheren Stücke. Klavier, Streicher und Gitarren entlang von steten Rhythmen und eine immer noch suchende Stimme, die aber anstatt des dramatischen Einatmens öfter mal das selige Ausatmen wagt.

Jetzt erscheint das zweite Odd-Orchestra-Album. Es ist wieder ein gelungener Spagat zwischen kalter Clubakustik und warmen Waldharmonien. Klänge wie erzählte Geschichten, vielschichtig und ausufernd. Diesmal aber klingt es zufriedener, weniger isoliert. Natürlich gebe es diese Grundmelancholie in ihm, sagt Ohara, und er mache Musik um sich davon abzulenken. „Aber man muss ja nicht auf diese Traurigkeit eingehen, es gibt auch tolle Sachen. Diese Platte ist der Versuch, sich dem Leben zuzuwenden.“ Er erzählt, wie er im letzten Jahr über das kleine Goldmund-Festival in der Nähe von Berlin wanderte. Wie er dort die Band Wildbirds and Peacedrums entdeckte. Er, den Konzerte eher langweilen, wie er vollkommen ohne Arroganz behauptet, hörte im letzten Sommer der Band Bonaparte zu, bekam einen I-Pod geschenkt, auf dem Anthony and the Johnsons zu hören war. Er ließ sich inspirieren, schaute in die Welt und in andere Leben.

Das hört man dem neuen Album an. Den I-Pod hat er mittlerweile verloren. „II“ entsteht in wenigen Sessions mit Oliver Doerell und dem Drummer Tom Krimi. Man verzieht sich aufs Land, holt dann noch andere Musiker ins Studio. So sind acht wunderbare Songs entstanden, die eine Sprache gefunden haben, mit der die Band dem, was sie zu sagen hat, sehr nah zu kommen scheint. Die Single „Miracle“, die erfolgreich im Radio läuft, ist nicht auf dem Album. Man kann sie nur als Datei herunterladen. Das sei vielleicht für den Verkauf nicht so gut, aber das Lied habe ihn zwischen den anderen gestört. Kann man das einfach so gegen die Plattenfirma entscheiden? „Man muss“, sagt Raz Ohara.

Auf dem neuen Album fragt er nicht mehr, er sagt. Man muss sich keine Sorgen mehr um ihn machen.

■ Raz Ohara and the Odd Orchestra: „II“ (Get Physical)