UNTERM STRICH

Ein Interview des ungarischen Literaturnobelpreisträgers Imre Kertész in der Zeitung Die Welt hat in Ungarn heftige Reaktionen ausgelöst. Funktionäre des ungarischen Schriftstellerverbandes und rechtsgerichtete Publizisten warfen Kertész vor, Ungarn zu „verunglimpfen“. In dem Interview, das zum Anlass seines 80. Geburtstag am 9. November geführt worden war, bezeichnete der in Berlin lebende Schriftsteller die ungarische Hauptstadt Budapest als „vollkommen balkanisiert“. Über Ungarn sagte er unter anderem: „Rechtsextreme und Antisemiten haben das Sagen. Die alten Laster der Ungarn, ihre Verlogenheit und ihr Hang zum Verdrängen, gedeihen wie eh und je.“ Kertész bezog sich dabei auf das jüngste Erstarken der extremen Rechten und den seit Jahren „salonfähigen“, mehr oder weniger codierten Antisemitismus, den auch Medien der sogenannten rechten Mitte pflegen. Die Reaktionen auf seine Äußerungen scheinen seine Kritik dabei zu bestätigen. Die Tageszeitung Magyar Hirlap, die dem oppositionellen rechtskonservativen Bund Junger Demokraten (Fidesz) nahesteht, schrieb am Dienstag, Kertész sei „wurzellos“ – eine unter Antisemiten geläufige Chiffre zur Abstempelung jüdischer Intellektueller.