Die Könige von New York

BLUE NOTE Der Berliner Francis Wolff gründete mit Alfred Lion vor 70 Jahren in New York das legendäre Jazzlabel Blue Note. Im Jüdischen Museum werden die von ihm gemachten Coverfotos nun erstmals gezeigt

Wolff platzierte die Musiker vor chromglänzenden Autos und lichtdurchfluteten Straßenschluchten

VON MAXI SICKERT

Die Fotografien wirken seltsam losgelöst, fast flüchtig an der sehr weißen Wand des Jüdischen Museums. Überraschend klein sitzen sie in den Passepartouts, die Großen des Jazz. Ein noch sehr junger Miles Davis, ein selbstvergessener Thelonious Monk, ein schüchterner Horace Silver, ein zorniger, Geige spielender Ornette Coleman.

Es ist das erste Mal, dass diese Fotos gezeigt werden. Sie stammen aus dem Archiv des Berliner Fotografen Francis Wolff, der 1939 auf der Flucht vor den Nazis nach New York emigrierte und dort gemeinsam mit Alfred Lion das Jazzlabel Blue Note gründete. Wolff dokumentierte die Aufnahme-Sessions in hunderten von Bildern, deren Negative zum größten Teil nie entwickelt und bis vor kurzem in Kartons aufbewahrt wurden.

Klingende Cover

Bekannt sind nur die Fotos, die von Grafiker Rufus Reid zu den unverwechselbaren Blue-Note-Covern montiert wurden. Reid, so berichtet es der extra zur Eröffnung der Ausstellung angereiste und sichtlich bewegte Jazz-Produzent Michael Cuscuna, habe ausschließlich Klassik gehört und sich die Musik von Alfred Lion nur beschreiben lassen. Trotzdem hat man bei den Schallplattencovern das Gefühl, als sei die Musik bereits sichtbar.

Cuscuna, der Archivar, erweckte durch seine detektivischen Recherchen in den Achtzigerjahren das damals fast vergessene Blue Note Label durch aufsehenerregende Reissues und erstmals veröffentlichte Fundstücke wieder zum Leben. Darunter etwa eine bis dahin unbekannte Live-Aufnahme eines gemeinsamen Konzerts von Thelonious Monk und John Coltrane. Nach Berlin hat Cuscuna Schätze aus dem Archiv gebracht, das ihm von Alfred Lion persönlich anvertraut worden war.

Es sind fast private Momentaufnahmen. Die Musiker bei der Vorbereitung ihrer Musik, beim Notieren, Überarbeiten, Proben. Familiär war es bei den Aufnahmen, die zum großen Teil im elterlichen Wohnzimmer des Toningenieurs Rudy Van Gelder stattfanden. Die Kinder wurden mitgebracht, es wurde gemeinsam gegessen. Alfred Lion und Francis Wolff sehen, wenn sie mit auf den Fotos sind, immer sehr glücklich aus. Als seien sie angekommen. Und doch könnte der Unterschied zwischen der coolen Ästhetik der Blue-Note-Cover und der Realität der improvisierten Studio- und Wohnzimmeraufnahmen mit abgewetzten Stühlen und altmodischen Lampenschirmen kaum größer sein.

Dazwischen die Außenaufnahmen, die New York als Verheißung zeigen. Wolff platzierte die Musiker vor chromglänzenden Autos, aufragenden Straßenschildern und in sich ins Licht öffnenden Straßenschluchten. Er porträtierte seine Helden wie Könige in einer Zeit, in der Segregation die Musiker in dieser Außenwelt diskriminierte. Für Lion und Wolff zählte nur die Musik. Schon in den Zwanzigerjahren hatten sie begonnen, Schallplatten zu sammeln. Zur Legende gehört, dass sich Lion, 28-jährig, erstmals nach New York aufmachte, dort an den Docks arbeitete, nachts im Central Park schlief und mit dreihundert Schellack-Platten nach Berlin zurückkehrte.

Anfang der Dreißigerjahre gründeten sich in Berlin „Hot Clubs“, bei deren Treffen gemeinsam Platten gehört und diskutiert wurden. Während Lion bereits 1933 vor den Nazis über Chile nach New York flüchtete, war Wolff, genannt „Franny“, noch bis zu seiner Ausreise 1939 Mitglied des „Hot Club Berlin“, der zu jener Zeit wegen des offiziellen Jazzverbots nur noch heimlich abgehalten werden konnte. Wolff nahm seine komplette Sammlung, die mit sauberer Schrift in einem Notizbuch katalogisiert war, mit nach New York.

Kompromisslose Musik

Dort hatte Lion gerade ein leidenschaftliches Manifest veröffentlicht, in dem er den Jazz zur Kunst- und Gesellschaftsform erhob: „Blue Note Records wurden gegründet, um den kompromisslosen Ausdrucksformen des Hot Jazz und Swing zu dienen“, hieß es darin. Das war keineswegs selbstverständlich für eine Musik, die in den USA als minderwertig angesehen wurde. Alfred Lion war der einzige Plattenproduzent, der seine Musiker auch für die Proben vor den Aufnahmen bezahlte und über Jahre zu ihnen hielt, auch wenn sich, wie bei Thelonious Monk, die Aufnahmen nicht verkauften.

1965 verkauften Lion und Wolff Blue Note an die Plattenfirma Liberty, die 1979 vom EMI-Konzern übernommen wurde, der Blue Note einstellte – bis zur Neugründung des Labels 1985 unter Bruce Lundvall.

Seit den Neunzigerjahren fotografiert Jimmy Katz für Blue Note. Es ist erstaunlich, wie nah die Musiker ihn an sich herankommen lassen, auch beim Spielen. Selbst als schwierig geltende Persönlichkeiten wie der einstige Miles-Davis-Bassist Dave Holland. Das zerspielte Holz des Instruments, die präzisen Bewegungen der Hände sind zu sehen. Und doch sind es ganz andere Bilder. Weicher und dunkler, die Konturen verwischen.

■ „It must schwing. Blue Note – Fotografien von Francis Wolff und Jimmy Katz“. Jüdisches Museum bis 7. Februar 2010