HAUSTIERE (II)
: Die Elster

Sie war nicht bereit, zurückzuweichen

Heute bin ich von einem seltsamen Geräusch im Treppenhaus wach geworden. Es war nicht einmal besonders laut, aber machte sich durch seine Beständigkeit bemerkbar. Es klang wie ein Stahlbesen, der über das gespannte Fell einer Trommel streicht, aber schon vor einiger Zeit den Takt verloren hat. Dann wieder Stille. Und von Neuem das schubbernde Geräusch. Ich schlüpfte in meine Jeans, zog mir einen Pullover über, um nach dem Rechten zu sehen. Auf den Metern zur Wohnungstür beschleunigte sich mein Herzschlag.

Mein Blick, die Klinke noch in der Hand und den Kopf nur wenig hinausgestreckt, wanderte durch den Treppenflur. Auf dem Absatz unten entdeckte ich die Querulantin: eine Elster, mir frech zugewandt, regungslos, aber keineswegs eingeschüchtert. Eher wie ein Tier, in dessen Territorium man eingedrungen war, plusterte sie sich auf, war nicht bereit, zurückzuweichen. Ich zuckte erschrocken zusammen. Es waren nicht Reminiszenzen an „Die Vögel“ von Hitchcock oder „Die Taube“ von Süsskind. Nein. Der Schnabel war es, genauer gesagt der Übergang von dem blanken glänzenden Horn und der Weichheit der Federn am Kopf, die mir Ekel bereitete, fast so viel wie das Kreischen von Kreide auf einer Tafel.

Ich schnellte zurück in die Wohnung. Durchatmen. Den Körper unter Kontrolle bringen. Es gab keine andere Lösung: Ich musste wieder auf den Gang treten und die Elster nach unten scheuchen, die Linke wie ein Boxer vor dem Gesicht und mit dem Fuß laut aufstampfend. Für einen Augenblick vergaß der Vogel seine Fähigkeit zu fliegen – und ich meine Phobie. Als wir im Gleichklang Treppenstufe um Treppenstufe vier Stockwerke nach unten hüpften, muss jeder gelangweilt am Fenster lungernde Nachbar gedacht haben, einer Zirkusnummer beizuwohnen. Wobei nicht klar war, wer hier der Dompteur war. TIMO BERGER