Arbeit an der Erlösung

KRIEG DER LEBENSFORMEN Kevin Rittberger inszeniert Dietmar Daths „Die Abschaffung der Arten“ in der Black Box am Deutschen Theater

Die Menschen sind besiegt und damit das „Zeitalter der Langeweile“. Seit Jahrhunderten leben die evolutionären Nachfolger, die Gente, eine Mischung aus Mensch und Tier, auf der Erde und ihr Regent ist Cyrus Iemelian Adrian Vinicius Golden, ein Löwe. Wie die Gente nach der „Befreiung“ von den Menschen dennoch daran scheitern, die neue Gesellschaft zu gestalten, ist Thema des Romans „Die Abschaffung der Arten“ von Dietmar Dath.

Der Roman wird nun von Kevin Rittberger in der Black Box des Deutschen Theaters als Bühnenstück inszeniert und hatte am Sonntag Premiere. Langweilig ist die Inszenierung auf keinen Fall, aber Daths Stoff bleibt auf der Bühne genauso verwirrend wie im Buch. „Warum war den Menschen passiert, was ihnen passiert war?“, fragt die Libelle Philomena. Sie haben nicht verstanden, dass sie keine Myxamobae sein können, erklärt die Fledermaus Izquierda. Myxamobae seien eine aus unverbundenen Einzellern entstandene gewebegleiche Masse, genannt Pseudoplasmodium. Diese neuen Geschöpfe könnten ihre Gestalt immer wieder ändern und neue Einzeller produzieren, aus denen wieder andersartige Myxamobae würden. Doch Personen, egal ob Mensch oder Gente, seien an ihre Körper gebunden.

Diese Erkenntnis Izquierdas passt aber nicht zur Ideologie der Gesellschaft von Cyrus Golden. Ihre Protagonisten glauben, die eigene Identität von Körper und Lokalität befreit zu haben. Dementsprechend tragen in der Inszenierung von Kevon Rittberger die Schauspieler ihren Tierkörper als Holzfigur vor sich her – das Äußere ist bloß noch austauschbare Maske und die sexuelle Identität nicht auf „Schwanz“ oder „Muschi“ reduziert. So hat die Libelle Philomena Sex mit zwanzig Mäusemädchen und dem Wolf Dmitri, als Vogel trägt man maßgeschneiderte Anzüge und alle zusammen kommunizieren umweltfreundlich über Pherinfone, auf Gerüchen basierende Informationssysteme, die Mobiltelefone überflüssig machen.

Auf den Mond geschossen

Doch weder sind die Gente unsterblich und körperlos wie Myxamobae, noch schafft die Herrschaft des Cyrus Golden eine Gesellschaft der Gleichen, und so wird aus der Abschaffung der Arten nichts. Eine andere Lebensform, die Keramikaner, schlagen die Gente schließlich nieder und schießen sie auf den Mond. Zu allem Überfluss hätte eigentlich nur noch das Raumschiff des Jazzmusikers Sun Ra auf der Bühne landen müssen, um den Planeten Erde zu erlösen. Doch „Die Abschaffung der Arten“ ist eine Dystopie und so wird „Wir verlassen die Erde“ von der neuen Platte der Goldenen Zitronen eingespielt: „Wir verlassen die Staaten ohne abzuwarten als gescheiterte Arten […] Wir verlassen die Kugel wie begossene Pudel.“

Die Black Box im Deutschen Theater ist der richtige Ort, um den Dath’schen Theoriemix zu präsentieren. Auch Dietmar Dath ist eine Black Box. Kausalität ist bei der einen wie der anderen Box keine zwingende Voraussetzung für die Bewertung dessen, was drinnen passiert. Bedeutend ist allein Reiz und Reaktion. Das Publikum schwieg entweder betroffen – angesichts der Schreckensszenarien von postbiotischer Großmacht und brutaler Kriege – oder lachte schallend – angesichts opaker Vorträge über Mathematik und Musik, Nazis im ICE; oder einem durchdrehenden Kunden, der erst Unmengen von Fragen nach Kohlensäure, Größe, Paybackkarte und Treueherzen beantworten muss, bevor er eine Flasche Wasser kaufen kann.

Mit dieser Mischung aus absurdem Theater und Politkabarett lässt sich „Die Abschaffung der Arten“ jedenfalls gut ertragen. DORIS AKRAP

■ Wieder am 14., 27., 28. November und 15., 21. und 30. Dezember, 20.30 Uhr, Deutsches Theater