Der Meister der Wolken

FOTOSCHULE I Vancouver ist ein Zentrum konzeptueller Fotografie. Die Vancouver Art Gallery stellt Scott McFarland und Owen Kydd vor

Allmählich wird deutlich, dass diese bezwingenden Atmosphären ein künstliches Produkt sind

VON STEFFEN SIEGEL

Wer Vancouver sagt, muss auch Jeff Wall sagen. Oder Rodney Graham. Oder Stan Douglas. Jedenfalls dann, wenn man sich mehr als nur am Rande für zeitgenössische Fotografie interessiert. Seit über zwanzig Jahren ist die Stadt an der kanadischen Westküste ein bedeutendes Zentrum der konzeptuellen Fotokunst. Und ob es den Fotografen nun gefällt oder nicht, längst sind die Kunstkritiker darauf verfallen, von einer „Vancouver School“ zu sprechen. Es ist gewiss kein Zufall, dass einer der wortgewaltigsten unter ihnen, Michael Fried nämlich, die Titelthese seines jüngsten Buches „Why Photography Matters As Art As Never Before“ zuallererst mit den genauso berückenden wie stilbildenden Arbeiten Jeff Walls zu belegen versuchte.

Wer in diesem Herbst jedoch die Vancouver Art Gallery betritt, wird eine Überraschung erleben. Denn während sich die Stadt an allen Ecken und Enden gerade darauf vorbereitet, im kommenden Februar von den Olympischen Winterspielen überrollt zu werden, hat man im Museum ganz offenbar die Ruhe vor dem Sturm genutzt, die Säle einer gründlichen Inventur zu unterziehen. Von Jeff Wall ist vorläufig keine Spur mehr zu sehen, von Stan Douglas einzig noch zwei Filminstallationen, ansonsten aber gehören weite Teile des Hauses zwei sehr viel jüngeren Fotografen.

Spiel mit der Idylle

Bei einer Galerie, die ihre Besucher auf der Website ausdrücklich dazu auffordert, Vorschläge für künftige Ausstellungen zu mailen, scheint kuratorischer Mut Programm. So wurden für den 34-jährigen Fotografen Scott McFarland und dessen erste große Retrospektive beinahe zwei Etagen freigeräumt. Und mehr noch: McFarland, der in Vancouver Kunst studierte und noch immer dort lebt, durfte aus dem Bestand des Hauses eine Sammlung an künstlerischen Vorbildern zusammenstellen, die seine eigene Werkschau begleitet und auf diese Weise klug kommentiert.

Dass bei dieser Ausstellung in der Ausstellung ausgerechnet die romantische Landschaftsmalerei des Engländers John Constables fehlt, ist gewiss einzig dem lückenhaften Fundus in Vancouver geschuldet. Denn gerade Constables idyllische Ansichten sind es, die McFarland aus einem Abstand von fast zweihundert Jahren mit fotografischen Mitteln erneuert. Die stimmungsvollen, mal sonnendurchfluteten, mal gewittrigen Landschaften, die doch eigentlich lange in die Mottenkiste einer abgegriffenen Bildästhetik gehören, sind es, denen McFarlands eigene Arbeiten nachspüren. Zugleich werden sie aber auch gründlich untergraben.

Erst ganz allmählich wird deutlich, dass diese von einer bezwingend dichten Atmosphäre getragenen Fotografien ein durch und durch künstliches Produkt sind. Jeder Himmel ist bei McFarland eine Frage von präziser Bildbearbeitung: Als sei das vorüberziehende Wetter eine beliebige Kulisse, werden alle Ansichten stets in verschiedenen Himmels- und Beleuchtungsversionen präsentiert und der Blick des Betrachters auf diese Weise nachdrücklich irritiert.

Erst recht auf die Spitze treibt McFarland sein fotografisches Spiel der Irrealisierung aber schließlich bei raumgreifenden Naturpanoramen, in denen alle Bäume und Blumen ohne Rücksicht auf die Jahreszeit gleichzeitig blühen. Diese überreichen Landschaftsbilder räumen mit einem elegant-ironischen Gestus den alten Kinderglauben vom fotografischen Abbild der Wirklichkeit ab. Sie sind ganz einfach weit schöner als die Wirklichkeit.

Schiere Schönheit wird in McFarlands Fotografien zuweilen aber auch zum Problem. Nicht jedes seiner Motive hält das fast immer gewählte ganz große Format aus. Und gerade die altmeisterliche Opulenz dieser Tableaus verstellt mitunter nur ungenügend, dass diesen Bildern eine kammermusikalische Instrumentierung besser bekommen wäre als der volle Orchestersatz.

Beklemmende Geschichten

Dass weniger deutlich mehr sein kann, wird in Vancouver augenscheinlich, wenn man in ein unscheinbares Seitenkabinett tritt, in dem die drei jüngsten Arbeiten von Owen Kydd, der ebenfalls 1975 geboren wurde und auch in Vancouver studierte und lebt, gezeigt werden. Auf jeweils drei Videoscreens, die wie in einem Triptychon zu einem Ganzen aufeinander bezogen sind, ziehen scheinbar ganz banale Szenen des Alltags in Vancouver und Los Angeles vorüber, die genauso zurückhaltend wie eindringlich in einzelnen Bildern eine beklemmende Geschichte entfalten, etwa über rätselhafte Gestalten in der Nacht oder über religiöse Missionen.

Kydds Inszenierungen von stummen Bildfolgen fesseln, da sie auf jede Theatralität, jede hochfahrende Geste verzichten. Zugleich fordern sie vom Betrachter, der ja in einer auf drei Monitoren verteilten Präsentation gefangen ist, eine wahrhafte Blickarbeit, um möglichst wenig von diesen präzisen Miniaturen zu verlieren. Die Vancouver School der Fotografie, dessen kann man sich angesichts eines solchen Kaleidoskops ganz genauer Blicke sicher sein, wird nicht allein eine Sache der heute bereits sechzigjährigen Meister Fotografie bleiben.

■ Bis zum 3. Januar 2010. Vancouver Art Gallery

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