Eleganz und Aberwitz

JAZZ Kammerjazz nach Noten: Felix Wahnschaffe und sein Quartett Das Rosa Rauschen zeigten sich im A-Trane mehr dem Kontrapunkt und ausgefeilten Arrangements verpflichtet als dem Free Jazz. Ein wenig Irrsinn und Akrobatik durften aber auch sein

Sind die wilden Jahre des Jazz endgültig vorbei? Ungeachtet der Tatsache, dass es auf der Erde immer noch vereinzelte Biotope des Free Jazz gibt, die auf Festivals gewissermaßen unter Artenschutz präsentiert werden, zeigt sich im neuen Jazz eine deutliche Vorliebe für strengere Formen bis zum Auskomponieren ganzer Stücke. Improvisation gehört weiter zum Geschäft, muss sich aber mittlerweile neben klassischem Partiturspiel behaupten. Keinesfalls zum Nachteil der Musik, wie man sich am Donnerstag beim Konzert des Quartetts Das Rosa Rauschen im A-Trane überzeugen konnte.

Die vier Musiker auf der Bühne haben vor allem eines gemeinsam: Sie spielen hinter Notenständern und schauen während des Konzerts sehr häufig in die vor ihnen liegenden Blätter. Gewaltig viele Noten, möchte man meinen. Wo sonst im Jazz Spontaneität und das Entstehen von Musik im Hier und Jetzt mit begrenzten Vorgaben die Hauptsache waren, steht an diesem Abend das ausgefeilte Arrangement im Vordergrund. Alle Stücke stammen aus der Feder von Felix Wahnschaffe, Saxofonist, Komponist und Kopf von Das Rosa Rauschen. Statt Avantgarde-Jazz meint man, Bebop zu hören, allerdings mit ausgefransteren Melodiebögen und wenig vorhersehbaren Akkordfolgen. Völlig atonal geht es in Wahnschaffes Werken selten zu, doch die Linien der einzelnen Instrumente schaffen zusammen meist keinen harmonischen Zusammenhalt. Weh tun die Töne trotzdem nicht.

Felix Wahnschaffe gehört zur neueren Berliner Jazzszene und ist einer der Gründer des Jazzkollektivs, einem Zusammenschluss mehrerer Berliner Bandleader der jüngeren Generation. Der 1964 in Berlin geborene Saxofonvirtuose studierte Musik an der HdK und später in New York Komposition. In seinen Arrangements geht Wahnschaffe meist sehr subtil vor, viele der Stücke haben ausgesprochen lyrische Qualitäten. Glatt oder gar leichtgewichtig kann man seine Musik allerdings kaum nennen.

Das liegt nicht zuletzt an seinen Mitstreitern, allen voran der Gitarrist John Schröder, eine der schillerndsten Figuren der Berliner Szene, unter anderem bekannt als Schlagzeuger des Trios Der rote Bereich. Schröders Gitarrenstil ist so virtuos wie unberechenbar. Spielt er im einen Moment noch verhaltene Akkorde, die er durch nachträgliches Aufdrehen des Lautstärkereglers abfedert, so kippen seine Soli schon mal von einer Sekunde zur nächsten in akrobatische Irrsinnsmelodien, die er präzise gegen den Rhythmus seiner Kollegen setzt und bei denen man meinen könnte, er habe die einzelnen Töne vorher mittels Unwahrscheinlichkeitsfaktor berechnet. Weniger exzentrisch, aber keinesfalls minder virtuos die Rhythmusgruppe mit dem Bassisten Oliver Potratz und Schlagzeuger Eric Schaefer. Beide gehören zur jungen Jazzelite Berlins und schaffen es wie selbstverständlich, in Wahnschaffes und Schröders Mischung aus Eleganz und Aberwitz die richtige Balance zu halten.

Die Band, im Jahr 1997 gegründet, hat soeben ihr drittes Album veröffentlicht. Trotz des einigermaßen lauten Titels „Schall und Wahn“ klingt das Quartett im Studio noch eine Spur moderater als auf der Bühne. Man könnte fast meinen, Bach mit seinem ausgeklügelten Kontrapunkt sei für Wahnschaffe wichtiger als Free Jazz. Doch im Konzert werden die Verhältnisse wieder etwas zurechtgerückt, zugunsten des freien Spiels im ansonsten kontrollierten Rahmen. Und zum Schluss kommt dann als Überraschung eine Beinahe-Jazzrock-Nummer mit harten Gitarrenriffs, völlig frei von Daddelklischees. Nein, dies ist ernste Kunst, die sich aber nicht zu schade ist, auch richtig Spaß zu machen.

TIM CASPAR BOEHME