Orangenkisten, Kunst und Popsongs

TRANSFORMATION Der kalifornische Musiker Van Dyke Parks spielt zum ersten Mal in Berlin und erntet viel Applaus für Songpreziosen und witzige Ansagen

VON PETER UNFRIED

Man muss sich das vorstellen wie einst am Hofe, wenn Walther von der Vogelweide nach vielen Jahren endlich des Weges kommt. Alles, was Rang und Ohren hat, versammelt sich zum kulturellen Ereignis der Saison. So war es mit Van Dyke Parks, der nach all den Jahren nach Berlin kam, wo ihn der Parks-Adel gebührend feierte. Und damit selbstverständlich auch sich selbst und seinen exquisiten Musikgeschmack. Man kann nur sagen: völlig zu Recht.

Die Parks-Gemeinde ist ein überschaubares Grüppchen (Alter: 40 aufwärts) in der globalen Popgesellschaft. Sie huldigt neben der Musik selbstredend auch dem Mythos, der den Musiker und Lyriker Parks begleitet, seit er Mitte der 60er mit Beach-Boys-Kopf Brian Wilson an dem Album „Smile“ arbeitete, das bekanntlich der Heilige Gral der Popmusik ist. Parks hat in 40 Jahren sieben Soloalben rausgebracht. Er lebt und arbeitet in Los Angeles, spielt aber praktisch nie live und schon gar nicht in Deutschland.

Und dann steht er Sonntagabend da, passenderweise in der Passionskirche in Kreuzberg. Typ Dichter, grauer Haarschopf, nicht groß, eher dicklich. So einer, der sich in regelmäßigen Abständen die Hose am Gürtel über den Bauch ziehen muss. Er spielt Klavier und wird von Bass und Gitarre begleitet.

Parks ist gelernter klassischer Pianist, andererseits der Texter von Popsongs wie „Heroes and Villains“. Und dies ist ein Abend, an dem klassische Popmusik für Fortgeschrittene definiert wird: Populäre Musik aus diversen Jahrhunderten und Stilrichtungen, aus dem amerikanischen Songbook, aus seiner Heimat Mississippi, aus seinem 68er Debütalbum „Song Cycle“, dem Frühsiebziger-Calypso-Album „Discover America“ („FDR in Trinidad“), aus „Jump!“ usw. Das Herz des Konzerts bilden Songs aus dem bislang letzten Studioalbum „Orange Crate Art“ von 1995, vordergründig ein historischer Blick auf Kalifornien. In Wahrheit hat er – zusammen mit Brian Wilson – den Teenie-Surfpop der Sixties in erwachsene Popmusik transformiert. Er spielt „Sail away“, „Wings of a Dove“ und als Höhepunkt den Titelsong „Orange Crate Art“.

Wenn das Ziel sein sollte, Kitsch im Sinne Warhols in Kunst zu verwandeln, so ist er damit ziemlich nah dran. Das Existentielle, das Gebrochene von Wilsons Stimme fehlt; Parks versucht mit ausgestellter Künstlichkeit sein offenbar mangelndes Zutrauen in die eigene Stimme zu kompensieren. Als sie an „Orange Crate Art“ arbeiteten, habe Wilson zu ihm gesagt: „Warum singst du eigentlich nicht selbst?“ Er antwortete: „Ich kann meine eigene Stimme nicht ausstehen.“ Worauf Wilson sagte: „Das kann ich dir nicht übelnehmen.“ So wie er die Musik komplett vom Blatt spielt, so sind seine Stand-up-Poesien nicht spontan, sondern präzise. Er spricht über den Menschen, seine moralischen Verpflichtungen, die Sixties, die Ermordung John F. Kennedys, Robert Frost, Sigmund Freud und dass 2010 ein achtes Album von ihm erscheine. Möglicherweise. Als er „Song Cycle“ erwähnt und einige jubeln, zeigt er mit dem Finger in die betreffende Ecke und ruft: „Security!“, um damit auf sein zwiespältiges Verhältnis zu seinen Anfängen anzuspielen. Und falls es jemand nicht längst gemerkt haben sollte, sagt Van Dyke Parks: „Ich würde alles für einen Lacher tun, alles“.

Er ist inzwischen 66, spürt das Alter, aber er sagt: „I really feel my best work is ahead of me.“ Von Kalifornien lernen heißt leben lernen: Warum kleinmütig sein, wenn es auch anders geht? Und bevor jemand damit kommt, dass Van Dyke Parks die „Grenzen der Popmusik“ sprenge, benennt er sie lieber. Wenn Musiker das Gefühl hätten, sie müssten etwas tun, komme am Ende immer ein Lied raus. Egal, ob das Dach repariert werden muss – oder die Welt. Es ist in vielerlei Hinsicht ein außergewöhnlicher Abend. Wer kann, soll heute nach Frankfurt fahren. Da spielt er noch mal.