Peng. Peng. Peng. Peng.

OPEN MIKE Eintracht herrschte zwischen Jury, taz-Publikumsjury und den Zuhörern beim Open Mike: Inger-Maria Mahlke und Matthias Senkel gewannen den Wettbewerb, den Lyrik-Preis erhielt Konstantin Ames

VON WIEBKE POROMBKA

Es hat ja schon eine schöne kleine Tradition, den Open Mike zum Anlass zu nehmen, um über den ernüchternden Zustand der jungen deutschsprachigen Literatur zu klagen. Vom schreibschulengeformten Rasenschach bis zur solipsistischen spätpubertären Betulichkeitsprosa reichten in den letzten Jahren die Vorwürfe, die man den an zwei Tagen in je fünfzehn Minuten dargebotenen Texten unter dem Strich machte – auch wenn die Jury am Ende zumeist doch noch die ein oder andere Rosine aus den Nachwuchsliteraten herausfischen konnte.

Nun kann man sich, zum einen, darüber streiten, ob der Open Mike überhaupt ein Wettbewerb ist, der Aufschluss über die Verfassung der Gegenwartsliteratur gibt. Denn bewerben kann sich schlicht und einfach jeder, der nicht älter als 35 Jahre ist und noch keine eigenständige Buchveröffentlichung vorzuweisen hat. Aus rund 700 Texteinsendungen hatten in diesem Jahr sechs Lektoren eine Vorauswahl von zwanzig Lyrik- und Prosabeiträgen getroffen, die am vergangenen Wochenende in dem immer wieder wunderbar ostigen, von Betonplattenbauten umstellten Kulturzentrum Wabe, die die Berliner Literaturwerkstatt als Außenspielstätte nutzt, präsentiert wurden.

Und, zum anderen, konnte man sich in diesem Jahr auch ein bisschen wundern. Böse gesagt über die zur Schau getragene Einträchtigkeit. Am Ende lobte die Jury erst das Publikum und dann die Texte, das Publikum lobte erst die Texte und dann die Jury, die taz-Publikumsjury lobte denselben Gewinner aus wie die mit Ursula Krechel, Kathrin Röggla und Jens Sparschuh besetzte Hauptjury.

Lyrik, die Freude macht

So war dann alles und jeder mit jedem gut. Aber man will das gar nicht böse sagen. Denn trotz einiger, indes an einer halben Hand abzählbarer Totalausfälle und trotz ein paar weiterer, zwar nicht verheerender, aber einigermaßen dröger Texte, hatte der Korken, der beim Sektempfang nach der Preisverleihung an die Decke knallte, schon ein wenig symbolischen Charakter. Nicht nur, weil er so schön auf den Titel des Siegertextes rekurrierte. Allein der von Urs Engeler nominierten Lyriker wegen war Freude angebracht – sei es das herzzerreißend klamottige Westernpoem von Ondrej Cikán, seien es die eigenwillig schönen Klangkörper von Carolin Dabrowski oder die schließlich mit dem Lyrikpreis ausgezeichneten gedankenschnellen und zart witzdurchfleuchten Texte von Konstantin Ames: „ich sehe am waschbeckenrand / in form eines großen g / ein haar haare“, wie es in der „elegie um ein haar“ heißt. All das hätte schon über vieles hinwegtrösten können.

Musste es aber gar nicht. Denn nicht nur in der Lyrik, auch in der Prosa fielen in diesem Jahr immer wieder Formbewusstsein, Witz und Lust am Stoff zusammen. Allen voran gilt das für „Peng. Peng. Peng. Peng.“, einen Text, der mindestens so ungewöhnlich ist wie sein Titel. Mit ihm gewann Matthias Senkel in diesem Jahr völlig zu Recht den Open Mike. In kurzen, mit „Rahmenhandlung I“, „Fantastischer Eischaum“ oder „Unrühmliches III“ überschriebenen Prosaskizzen lässt der 1977 geborene Autor ein schillerndes Familienepos aufblitzen. Es erstreckt sich über gut 150 Jahre, lässt ein ganzes Panoptikum von Figuren defilieren und reflektiert wie nebenbei gleich noch die eigenen poetologischen Bedingungen. Das klingt verdammt verkopft, überladen und ambitioniert, ist aber so suggestiv, unbeschwert und immer wieder knallkomisch, dass man es nur erfreut staunend zur Kenntnis nehmen konnte.

Die taz-Publikumsjury, die ebenfalls den im Gegensatz zu seinem Text angenehm still wirkenden Leipziger kürte, sprach in ihrer kleinen Laudatio gar von einem Marquez auf sieben Seiten und vom stilistisch Wegweisenden für die neue Literatur. Ein bisschen kleiner geht es vielleicht auch. Aber warum sollte man am Ende so eines Vorlesemarathons nicht auch mal ein wenig euphorisch werden? Zumal neben Senkel und Ames dann auch noch die auf fast rührende Weise angespannte Inger-Maria Mahlke für einen Romanausschnitt ausgezeichnet wurde. Diesem hätte ein Hauch von Sozialkitsch anhaften können, wenn die Autorin ihrem Kammerspiel über einen alten einsamen Mann, der durch nebulöse Umstände dazu kommt, eine Polin in seiner Wohnung zu beherbergen, nicht durch ihre ruhige und präzise Sprache alle denunziatorischen oder romantisierenden Momente genommen hätte.

Und so war denn, auch wenn das laue Novemberwetter es durchaus gut mit allen Rauchern meinte, der Open Mike in diesem Jahr nicht das kollektive Draußenherumstehen und Klagen über den Literaturbetrieb. Einträchtigkeit muss nicht immer das Schlechteste sein.