Cruising als Architekturmodell

SCHWUL Mit dem Symposium „Queer Spaces – Definitionen eines verdrängten Raumes“ betrat der AIT-ArchitekturSalon Hamburg an diesem Wochenende architekturtheoretisches und -historisches Neuland

Dieser Raum ist nun anderswo, etwa in New York, seit langem erschlossen und durch die sogenannten Village People popularisiert, wobei ihr Name inzwischen als Gütesiegel für urbane Wohnorte vermarktet wird

Am Anfang standen Begriffe. „Schwul“ oder „Queer“ ist eine Frage zwischen denen, die sich schwul emanzipiert haben, und denen, die das Wort als Beleidigung unter Jugendlichen kennen und sich als gay oder geschlechtsübergreifend queer bezeichnen. Zwar kam man beim Symposium „Queer Spaces“ pragmatisch schnell über die Definitionsprobleme hinweg. Dabei blendeten die schlaglichtartigen Beiträge persönliche „Definitionen eines verdrängten Raums“ – wie es im Untertitel hieß – weitgehend aus. Dieser Raum ist nun anderswo, etwa in New York, seit langem erschlossen und durch die sogenannten Village People popularisiert, wobei ihr Name inzwischen als Gütesiegel für urbane Wohnorte vermarktet wird.

Deutschland pflegt dagegen die Diskretion. Wolfgang Voigt, stellvertretender Direktor des Deutschen Architekturmuseums und Mitinitiator der Hamburger Veranstaltung an diesem Wochenende, sprach daher „Über die verschwiegenen Biografien schwuler Architekten“. Seine These, dass homosexuelle Architekten im Bereich Bühnenbild oder Innenarchitektur akzeptiert sind, dass aber der, der dauerhafte Bauwerke schafft, sein Privatleben verbergen muss, untermauerte er anhand von Lebensläufen. Aus Archivalien rekonstruierte er Bilder von auf Privatheit bedachten Persönlichkeiten: wie der Entwerfer des Hamburger Michel, Ernst Georg Sonnin (1709–1794), dessen „Zögling“ sich später als sein „Liebling“ und „Ein und Alles“ rühmte, oder wie der Altonaer Bausenator Gustav Oelsner (1878–1956), dessen sexuelle Orientierung mit „zierlicher Wuchs, empfindsam, wärmendes Auge, leidenschaftlicher Koch für Freunde“ in einer Gedenkschrift verbrämt wurde. Die Strategien hießen Verstecken, Verzicht, Bildung, schützende Netzwerke oder Nähe zur Macht.

Das ist keineswegs dunkle Vergangenheit. Angefragte, geoutete Architekten waren vom Symposium angetan, allein auf dem Podium wollte keiner Platz nehmen. Die „Betroffenen“, wie es einem Redner entfuhr, der damit den Vorbehalt exakt traf, konnten keinen darstellungswürdigen Zusammenhang zwischen sexueller Orientierung und beruflichem Wirken erkennen.

Ob sich Lesben leichter tun, blieb dahingestellt. Der Beitrag „Wohnungsbau und Wohnhäuser für Lesben, 1830–1950“ von der einzig nicht betroffenen Mary Pepchinski verharrte auf der Oberfläche und bezog sich auf die bekannten Colleges und Stiftungen. Weibliches Zusammenleben erschien hier eher unverdächtig. Erst bei den Ledigenheimen im Frankfurt der 1920er-Jahre wurde über eine maskuline Prägung der Frauen geklagt, woraufhin man weibliche Singles in Häuser für Familien integrierte.

Der Niederländer Jan Kapsenberg analysierte in seinen „Erotischen Manövern“ die Mechanismen der Begegnung schwuler Männer im öffentlichen Raum. Dem Flanieren schrieb er die Bereitschaft zur Kontaktaufnahme zu, wobei er konzedierte, dass der Flaneur inzwischen der Chatter im Internet ist. Die spontane Begegnung benötigt freilich den realen Raum wie Saunen und Bars, die vom Tresen bis zur Toilette stets so disponiert sind, dass eine maximale „Guckpotenz“ der Besucher ermöglicht wird.

Den Faden nahm der Wiener Architekt Helge Mooshammer auf, indem er aus dem Cruising genannten Suchen schwuler Männer nach einem Sexpartner Anregungen für die Planung folgerte. Wesentlich erscheint es ihm, den beim Cruising zu beobachtenden Prozess der Zweitcodierung des allen zugänglichen Raums über seine faktischen Eigenschaften hinaus durch Strategien der Imagination und der Narrativität auch anderen Raumnutzern zu erschließen.

Den Sprung von der theoretischen Position zur realen schwulen Wohnkultur wagten dann der Architekt Uwe Bresan und der Künstler Christian Bomm. Sie hatten sich die Interieurs auf den Profilen einer schwulen Internetplattform vorgenommen. Während etwa Sofas voller Plüschtiere oder verkramte Wohnungen von erschreckender Gedankenlosigkeit zeugen, versuchte Bomm sich Susan Sontag und ihrem Begriff „Camp“ zu nähern, den sie vor allem anhand von Codes der Selbstironie, Verspieltheit und Leidenschaft in den Lebenswelten homosexueller Freunde entwickelt hatte.

Auf dem Abschlusspodium verwahrte sich der Münchner Architekt Dionys Otl als schwuler Vertreter des Berufsstandes gegen eine Verortung zwischen Parkbank, Sauna und Tom-of-Finland-Grafiken. Die Frage, ob Homosexualität eine Rückwirkung auf das Entwerfen habe, verneinte er sofort. Solche Ad-hoc-Reaktionen waren wohl Zeichen der Überforderung bei der Beobachtung von Differenz in der Einheit des Bezugssystems Architektur, das das gesamte Symposium durchzog. So blieb auch die Frage des Bedürfnisses nach einer besonderen Darstellung schwuler Baukünstler, die in den Raum gestellt wurde, erst einmal unbeantwortet.

Die offenen mannigfaltigen Positionen bilden nun die Ausgangspunkte für eine umfassende Veranstaltung im Deutschen Architekturmuseum, die Wolfgang Voigt für 2011 in Aussicht stellte. Erörtert werden sollen Formen des Wohnens, der Identität im Berufsleben und das Selbstverständnis einer Gruppe, die sich nicht über einen Kamm scheren lässt, weder was sexuelles Verhalten noch was guten Geschmack betrifft. Camp kann eben auch einfach eine trashige Bar in Amsterdam heißen. MICHAEL KASISKE