ZWISCHEN DEN RILLEN
Schön schwammig und renoviert

Industriespionage ist überflüssig bei Ich + Ich. Sie enthüllen ihr Erfolgsgeheimnis offenherzig. In „Universum“, Song Nummer drei des neuen Albums „Gute Reise“, verspricht Sänger Adel Tawil seinem Publikum: „Ich weiß, wovon du träumst, und meistens, was du denkst – Ich kenn dich“. Und etwas weiter: „Ich lass dich so, wie du bist.“

Zugegeben, gemeint ist der Song wahrscheinlich als Liebeslied. So wie nahezu alle anderen Songs von „Gute Reise“ und des gesamten bisherigen Schaffens von Ich + Ich schlechthin. Aber nicht nur hier formulieren Tawil und die als Texterin, Komponistin und Produzentin hinter ihm stehende Annette Humpe geschickt ein jederzeitiges Übereinkommen mit dem Zuhörer. Fast jedes Lied des Berliner Duos versichert dem Adressaten: Du kannst uns vertrauen.

Dieses Versprechen wird oft schon im Titel der Songs direkt thematisiert („Hilf mir“, „Was wär ich ohne dich“) oder durch die Verwendung möglichst allgemeinverständlicher, aus der Schlagersprache übernommener Codes eingelöst („Ich flieg mit dem Wind / Wie ein wildes ewiges Kind“). Diese sprechen jeden an und sind dank größtmöglicher Schwammigkeit noch in jedes private Gefühlssystem integrierbar. Ein Publikum, dem immer mehr Sicherheiten wegbrechen, das die Orientierung verloren hat in einer schneller werdenden Welt, hat dieses Angebot von allumfassendem Verständnis dankbar aufgenommen und Ich + Ich zu einem erstaunlich breiten Erfolg verholfen. Schon der Titel „Gute Reise“ – ein freundlicher Wunsch unter vertrauten Freunden – setzt dieses Konzept souverän um. Hier bekommen die Hörer Mitgefühl und Wärme und müssen sich nicht sorgen, überfordert zu werden, eingeschläfert von Tawils Stimme, die Humpes Texte, man muss das wohl so nennen, einfühlsam intoniert.

Kurz: Zuhörer dürfen sich gefeit fühlen vor unangenehmen Überraschungen. Denn passend dazu wabert auch die Musik irgendwo so dahin, und das im ewig gleichen, mittellangsamen Tempo, als wollte sie vor allem eins: Nicht allzu sehr die traute Zweisamkeit zwischen Stimme und Publikum stören. Ob Humpe Klavier einsetzt wie in „Es tut mir leid“, ob sie Tawil singen lässt oder das auch mal selbst übernimmt, es hört sich erstaunlicherweise alles weitgehend gleich an. Das allerdings muss man auch erst mal schaffen: 46 lange Minuten mit solch ereignisloser Musik zu füllen. Selbst der Abschlusssong „Yasmine“ fällt – und das trotz eines arabischen Rhythmus und orientalischer Harmonien – kaum aus dem Rahmen zwischen müder Tristesse und milder Melancholie.

Im Vergleich dazu wirkt selbst die Band Glashaus wie die frühen Rammstein. Tatsächlich aber haben Martin Haas und Moses Pelham ihr Soulprojekt für „Neu“ zwar renoviert, aber kaum radikalisiert. Nach vierjähriger, durch Soloaktivitäten von Sängerin Cassandra Steen erzwungener Pause haben die beiden Frankfurter einen 20-jährigen Ersatz gefunden. Peppa Singt soll angeblich wirklich so heißen und füllt die von Steen hinterlassene Lücke nicht ganz so stimmvoluminös, aber durchaus souverän.

Wirklich neu, wie es der Albumtitel verspricht, ist allerdings bestenfalls die Umsetzung, die etwas technoider ist als gewohnt. Den Einsatz von Streichern haben Haas und Pelham deutlich heruntergefahren, dafür kommen mehr tanzbare Beats zum Einsatz, wird das Tempo merklich angezogen. Aus Soul ist Pop geworden.

So könnte auch dieses Album unbemerkt von dannen dudeln, hätte der alte Rabauke Pelham sich nicht gemüht, ein paar Widerhaken einzubauen. „Nich lang“ spielt mit der Perspektive einer vergewaltigten Frau, und in „Streben nach Glück“ reiht er einen Allgemeinplatz an den anderen, als wollte er die eigene Nähe zum Schlagerpop konterkarieren. Pelham surft wieder mal haarscharf an der Schamgrenze von Wichtighuberei und Anbiederung an den Mainstream entlang. Auch das eine Erkenntnis, für die man keinen Schnüffler im Studio der Konkurrenz benötigt. THOMAS WINKLER

■  Ich + Ich: „Gute Reise“ (Polydor/ Universal)

■  Glashaus: „Neu“ (3p/ Universal)