Kolumne Bestellen und versenden: Halbierte Neokons

Schwarz-gelb kommt so verspätet wie einst rot-gelb. Und auch die erste Angstattacke war schnell verflogen.

Kürzlich kam mir eine Ausgabe der Zeitschrift Texte zur Kunst in die Hände. Für sie hatte ich vor fünfeinhalb Jahren ein Gespräch mit Journalisten, Kulturproduzenten und Uni-Leuten geführt über künstlerisch-kulturelle Verlautbarungen eines erstarkenden Neokonservativismus: Phänomene des "Neuen Bürgertums" wie biografische Vergewisserungsliteratur, regressiven Nostalgie-Pop, die Wiederkehr des Sofabilds etc. Mit dem Begriff des Neokonservatismus meinten wir ein "analytisches Kontrastmittel" gefunden zu haben, mit dem ideologische Grenzverhandlungen zu beschreiben wären. In dem Heft wurden auch tonangebende Akteure wie der Unterschichtentheoretiker Paul Nolte als Feinde in einem neuen Kulturkampf am Kragen gepackt.

"Wir gegen die Neokons": Was damals schon pseudo-paranoide Züge hatte, würde heute erst recht niemand für voll nehmen. Denn wer beißt sich schon länger als ein paar Minuten an irgendwelchen ideologischen Feinden fest? Kulturell und ästhetisch begründete politische Feindschaft gibt es bestenfalls als unverbindliche Affäre. Am deutlichsten wurde das unmittelbar nach der Bundestagswahl. Sekunden nach den ersten Hochrechnungen bekundeten viele Facebook-Freunde in ihren Statusmeldungen Angst und Ekel vor Schwarz-Gelb. Doch schon am Morgen danach herrschte Normalzustand. Es wurden die neuesten Lieblings-YouTube-Videos gepostet. Das Entsetzen blieb weitere Konsequenzen. In der oft genug beklagten "postideologischen Situation" sind öffentliche Leidenschaften eben nur noch als kurzes Flackern zu haben. So konnte die intensive Erregung über die schwarz-gelbe Regierungsübernahme nur eine temporäre Hassgemeinschaft schmieden.

Dass gerade in (pop-)kulturellen Szenen die erste Angstattacke nicht zu einer nachhaltigen Politisierung gegen Schwarz-Gelb führte, hat freilich noch andere Gründe. Schwarz-Gelb ist kein substanzieller Angstgegner mehr, weil die Primetime des vor ein paar Jahren hochgejubelten "Neuen Bürgertums" eigentlich schon wieder abgelaufen ist. Der Eindruck von kultureller Offensive war ja damals der Anlass für unsere Neokon-Runde. Heute dürfte im Zentrum von Schwarz-Gelb eine berechtigte Melancholie sitzen, weil der beste historische Moment für immer verflogen ist. Man hätte die staatliche Macht vor ein paar Jahren unter viel freundlicheren Bedingungen erringen können. Schwarz-Gelb kommt verspätet wie einst Rot-Grün: So wie das rot-grüne Milieu in den Achtzigerjahren lebensstiltechnisch Oberwasser hatte, sich unter anderem wegen der deutschen Einheit aber erst 1998 politisch kristallisierte, so kann sich auch Schwarz-Gelb auf eine robuste kulturelle Basis nicht mehr verlassen.

Diese Melancholie, begründet in der Ungleichzeitigkeit von kultureller und politischer Hegemonie und unvollkommener historischer Authentizität, hat offenbar hemmende Wirkung. Wer zu früh dran ist, muss experimentieren und etwas wagen, wer den optimalen historischen Moment verpasst hat, sieht sich in die Rolle des langweiligen Behüters gedrängt und muss verhindern, dass nicht auch noch der Rest an gesellschaftlicher Verankerung verloren geht. Auch deswegen hat man den Eindruck, dass die neue "bürgerliche Regierung" nicht recht in die Offensive kommt. Der gesellschaftliche Rahmen hat sich verschoben, trotz des Wahlsiegs ist sie konfrontiert mit ansteigenden Gerechtigkeitserwartungen - dabei würde man am liebsten geile neue bürgerliche Freiheiten unters Volk bringen. Dass Sarrazin und Sloterdijk mit Provo-Rhetorik nachhelfen mussten, beweist nicht zuletzt, dass die Zeit neokonservativer Geschmeidigkeit vorüber ist.

Poschardt verzweifelt

So stehen auch Softcore-Konservative wie Paul Nolte schon lange nicht mehr für eine Avantgarde -wer liest sein neues Buch über Religion noch mit ideologiekritischem Verdacht? Ulf Poschardts Leitartikel-Ermahnungen zu mehr Fleiß in der Welt am Sonntag wirkten schon vor der Wahl wie Verzweiflungsrufe einer selbst ernannten Meritokratie. Wenn es überhaupt als solches gemeint sein sollte, dann ist das schwarz-gelbe "Projekt" ein halbiertes, dem das ideologische und kulturelle Outfit immer mehr abhanden kommt. Deshalb liefe auch eine politische Kritik als Stilkritik, wie wir sie damals betrieben, heute ziemlich ins Leere: Auch zu Guttenbergs "kultiger" AC/DC-Einstecktuch-Crossover kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es einen organischen Neokonservativismus, verstanden als Einheit von politischem und kulturellem Selbstverständnis, bis zum nächsten Regierungswechsel nie gegeben haben wird.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Politikwissenschaftler, seit 2022 Referatsleiter im Leitungsstab der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Autor für verschiedene Publikationen. Er schrieb von 2009 bis 2016 die monatliche taz-Kolumne "Bestellen und Versenden", seither freier taz-Autor. Themen: Popmusik, Theorie, Ideologiekritik.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.