Im massenmedialen Alltagsgeschäft

BILDVERGLEICH Am vergangenen Donnerstagabend sprachen die Kunsthistoriker Jörg Trempler und Peter Geimer in der Vortragsreihe „Abendschule. Vergleichendes Sehen“ in den Kunst-Werken und stellten Analogien zwischen Spielfilmbildern und Fernsehnachrichten-Bildmaterial her

„Abendschule. Vergleichendes Sehen“ heißt die aktuelle Vortragsreihe in den Kunst-Werken. Ihr Reiz liegt darin, dass sie nicht nur eine grundlegende Arbeitsweise der Kunstwissenschaft befragt – sie hat darüber hinaus einen fiesen Dreh. Denn vergleichendes Sehen ist immer auch vergleichendes Hören, treten doch immer zwei Referenten zum Vortrag an.

Am Donnerstag waren es nun die Kunsthistoriker Jörg Trempler, Forschungsschwerpunkt Katastrophenbilder, und Peter Geimer, Gastprofessor an der ETH Zürich mit dem Schwerpunkt Fotografie. Sein Vortrag „Das Unvergleichbare“ versprach denn auch eine kritische Abrechnung mit dem hypertrophen Wuchern des Bildvergleichs. Denn längst ist vergleichendes Sehen keine fachspezifische Methode der Kunstwissenschaft mehr, sondern der große Hype der Bildwissenschaft und massenmediales Alltagsgeschäft. Da wird dann, so ein Beispiel aus Geimers Vortrag, in der Süddeutschen Zeitung das Knipserfoto der Gefangenenpyramide in Abu Ghraib mit Pasolinis „120 Tage von Sodom“ parallel geschaltet und im Text von den geheimnisvollen Kanälen geraunt, über die die Bilder hinter unserem Rücken miteinander kommunizieren.

Oho! Wo doch jeder genregerechte Pornofilm Pasolini zitiert, der wiederum auch nur die schon vorgefundenen literarischen und visuellen Quellen reinszeniert. Klar haben die Soldaten und Soldatinnen in Bagdad die Abendschule für Pornografie absolviert. Für wie medial minderbemittelt muss man sie halten, um darüber so erstaunt zu sein, dass auch sie die längst ikonografisch gewordenen Motive sexueller Demütigung kennen? Am Ende läuft die Erkenntnis von derlei Genealogie von de Sade bis Abu Ghraib auf die Schweizer-Kräuterbonbon-Werbung hinaus: „Und wer hätt’s erfunde?“

Im Fall des Piloten, der sein Flugzeug in ein Hochhaus lenkt, waren es wohl die Futuristen, wie das Gemälde „Incuneandosi nell’abitato“ von Tullio Crali aus dem Jahr 1939 zeigt, das Jörg Trempler in seinem Vortrag „Wie im Katastrophenfilm? Die Fernsehbilder von 9/11“ neben die aus der Luft fotografierten Zwillingstürme stellte. Vehement plädierte Trempler für das vergleichende Sehen, um die Bilder der Massenmedien, etwa der Fernsehbilder des 11. September 2001, geistesgeschichtlich verorten zu können. Denn nur so seien sie in ihrer spezifischen Ästhetik zu verstehen. Andernfalls seien die Bilder allein durch das technische Verfahren der Liveaufzeichnung determiniert und dessen Authentizitätsversprechen, nicht Bilder vom Geschehen, sondern das Geschehen selbst zu sehen.

Doch wer wäre heute schon in der Lage, das Geschehen selbst zu sehen? Livereportage hin oder her. Auf die ein oder andere Weise sitzen wir doch immer bereits im Kino. Wir sind alle durch die Abendschule des Katastrophenfilms gegangen und wissen, wie stark unsere Wahrnehmung der Bilder von der realen Katastrophe durch Kinobilder überlagert ist.

Das kann sicher als Zeitstil gelten, wie Trempler im Berufung auf den Erfinder des Bildvergleichs, den Kunsthistoriker Heinrich Wölflin, meinte. Es hilft aber auch nicht dagegen, dass diese Art von an Ähnlichkeit interessiertem Bildvergleich inzwischen ziemlich fad wirkt. Das Publikum jedenfalls hatte eher geringen Diskussionsbedarf. Es schien auf Peter Geimer zu setzen und seine Frage, wo die Routine des Bildvergleichs möglicherweise Gefahr läuft, Heterogenes zu verwischen und das Spezifische eines Bildes durch seinen Vergleich mit längst Vertrautem gerade zu übersehen. Doch Geimer stürzte sich dann nicht wirklich in die Schlacht. Obwohl seine Beispiele zeitgenössischer Pressefotografien und ihrer fragwürdigen ikonografischen Einverleibung in das Bildreservoir der Kunstgeschichte gut gewählt waren, blieb er in seiner Kritik vage. Hätte er sich wirklich bemüht, das Schludrige, zu kurz Gedachte und Vermessene der Bildvergleiche genau herauszuarbeiten, wäre der Abend vielleicht noch richtig spannend geworden.

BRIGITTE WERNEBURG

■ Nächster Doppelvortrag: morgen, Dienstag, 15. Dezember, Beginn 19 Uhr. Michael Diers: „Vergleiche hinken oder Die Lehre des Teufels“; Sabeth Buchmann: „Vergleichsweise abstrakt“, KW, Auguststraße 69