Erst unter Heinemann Repression beendet: Hinweise auf Herrenbesuche

Eine Tagung beschäftigte sich mit der Unrechtssituation schwuler Männer in den Anfangsjahren der BRD. "Erst 1969 hörte für Schwule die Nazizeit auf", sagt der Historiker Pretzel.

Gustav Heinemann – hier bei seinem Amtseid zum Bundespräsidenten. In der Großen Koalition setze er als Justizminister eine liberal geprägte "Große Strafrechtsreform" durch. Bild: dpa

NS-Rechtspolitik verschärfte die Strafbestimmungen gegen homosexuelle Männer ums Ganze: Schwuler Sex war vollständig verboten, sogenannte Schutzaltersgrenzen galten nicht mehr. Zehntausende Männer waren nicht mehr allein "warme Brüder", sondern, so die volkstümliche Chiffre, "Hundertfünfundsiebziger". Das Gesetz war die juristische Grundlage für Einweisungen in Konzentrationslager, für Kastrationen, für Tötungen allein gleichgeschlechtlichen gelebten Begehrens wegen.

Die bittere Pointe: Dieses Gesetz war bis 1969 gültig. In den Worten des Historikers Andreas Pretzel: "Der Nationalsozialismus hörte für Schwule erst 20 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik auf." Der Nachkriegsrechtsstaat verfolgte homosexuelle Männer mit fast ebensolcher Intensität wie das NS-Regime – abgesehen von drohender KZ-Haft waren schwule Männer in der BRD den gleichen gesellschaftlichen Strukturen ausgeliefert wie zwischen 1933 und 1945.

Die Polizeien nahmen weiterhin Hinweise aus der Bevölkerung auf "Herrenbesuche" bei Männern an; Richter, die über Homosexuelle bei Entschädigungsverfahren um erlittenes Unrecht zu Gericht saßen, waren häufig die gleichen, die die Betroffenen vor 1945 verurteilten.

In der offiziellen Erinnerungspolitik der Bundesrepublik ist die Verfolgung homosexueller Männer nach 1945 ein blinder Fleck; ihnen war eine Tagung im Göttinger Volksbildungsheim Akademie Waldschlösschen gewidmet. "Ohnmacht und Aufbegehren" lautete die Überschrift.

Wie vermochten es schwule Männer, sich im Verborgenen einen Underground zu schaffen. Wie konnte es gelingen, trotz staatlicher Verfolgungsdrohung ein Leben in unmöglichen Verhältnissen zu führen? Recherchen insbesondere schwuler Historiker konnten die zwei Dekaden offizieller Homophobie immerhin facettenweise erhellen.

Albert Knoll von der KZ-Gedenkstätte Dachau berichtete von einem Fall, bei dem ein katholischer Priester, Rosa-Winkel-Häftling, sich nach 1945 um verurteilte NS-Täter kümmerte. Gottfried Lorenz aus Hamburg zeichnete ein präzises Bild von der Subkultur Homosexueller in Hamburg.

Der Rechtshistoriker Christian Schäfer umriss die juristische Debatte in der BRD um die Reform des Paragrafen 175. Hübsch, wie er nachzeichnete, dass die CDU/CSU-Nomenklatur zwar darauf aus war, auf die Gefängnisandrohung zu verzichten, die Nazifassung des Paragrafen jedoch aufrecht zu erhalten, weil sie fürchteten, Schwule könnten in der Öffentlichkeit das Primat des Heterosexuellen qua Existenz in Frage stellen.

1969 fiel die braune Strafbestimmung schließlich, christlich-eifernde Gier verlor an Legitimität, sozialliberaler Einfluss war diesem Prozess dienlich. Die antiautoritäre Studentenbewegung, so der Sexualwissenschaftler Martin Dannecker, tat ein Übriges, um sich den Ansprüchen Homosexueller nicht mehr entziehen zu können. Erst 1994 wurde der Paragraf insgesamt gestrichen – es war ein kleiner Preis, den die BRD im Zuge des Einigungsprozesses mit den juristischen Hinterlassenschaften der DDR entrichten musste.

Die Pointe, an der auf diesem Feld weiter wissenschaftlich wie politisch zu arbeiten lohnte, wäre womöglich: Die Bundesrepublik hat sich symbolpolitisch längst von der NS-Politik gegen Homosexuelle ausdrücklich distanziert. Das Homomahnmal am Berliner Tiergarten zeugt hiervon. Allerdings: Die Urteile gegen "Hundertfünfundsiebziger", die zwischen 1949 und 1969 gefällt wurden, sind weder nachträglich aufgehoben worden noch haben sich die FDP, SPD und CDU/CSU je für ihre Justizpolitik gegen Schwule entschuldigt.

Offiziell haben diese sich nie von der antihomosexuellen Volksgemeinschaft, die bis 1969 sich intakt wissen durfte, distanziert. Dieser blinde Fleck im Jahr des 60. BRD-Geburtstages bleibt – er verdient, noch mehr Farbe zu erhalten.

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