Das bessere Amerika

In „The Best of McSweeney’s“ versammelt Dave Eggers die seiner Meinung nach besten Kurzgeschichtenerzähler der USA. Das ideale Buch, um Obamas Amtseinführung zu begleiten

VON MARGRET FETZER

Was ist zu halten von einem Buch, auf dessen Cover jede Menge unterschiedlich große, bunte Vogeleier auf der Spitze stehen? Und dann noch diese schreiend pinkfarbene Banderole, auf der eine Art altmodischer Fleischwolf, ein Gelehrter mit Schweinskopf sowie einige chirurgische Instrumente wie Skalpell und Zange abgebildet sind.

Das Buch heißt „The Best of McSweeney’s“, herausgegeben hat es Dave Eggers, bekannt vor allem durch „Ein herzzereißendes Werk von umwerfender Genialität“ – so der Titel seines letzten Romans. McSweeney’s steht für „Timothy McSweeney’s Quarterly Concern“, und wer Timothy McSweeney ist, weiß keiner – so lautete lediglich der Name eines angeblichen, aber nie gesehenen Verwandten von Eggers. Timothy McSweeney gehörte nie richtig zur Familie, und das Gleiche sollte für die Short Storys gelten, die Eggers in einer Literaturzeitschrift dieses Namens zu versammeln plante. Ein Magazin für all die Texte, die anderswo abgeblitzt waren und nicht als vollwertige Mitglieder des Kanons anerkannt wurden.

Durch die Zusammenstellung eines „Best of“ allerdings wird die Vorstellung von Zentralität und „Dazugehören“ erneut bedient, und wenn man sich die Autorenliste dieses Sammelbands anschaut, muss man sich fragen, ob David Foster Wallace, Zadie Smith, A. M. Homes und nicht zuletzt Dave Eggers selbst wirklich als literarische Verstoßene gelten können. Dennoch ist Eggers’ Anliegen, „in Deutschland und dann überall in Europa die Liebe zur Short Story [zu] wecken“, aller Ehren wert – auch wenn sein Vorhaben, diese Agenda à la George W. Bush „mittels Gewaltandrohung“ umzusetzen und schließlich an unseren Küsten zu landen, nicht ganz so witzig ist, wie er vielleicht glaubt. Und ab dem 20. Januar ja auch überholt.

„The Best of McSweeney’s“ ist im besten Sinne amerikanisch und erscheint zu einem Zeitpunkt, zu dem man die positive Bedeutung dieses Wortes schon fast vergessen zu haben glaubte, bevor Barack Obama ihm nun wieder einigen Glanz verlieh. Knapp und kompakt, wie sie sind, werden Short Storys in den USA mit Vorliebe in Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht und erreichen so auch Leser, die sich kaum zur Lektüre eines Romans aufraffen würden. Man könnte behaupten, die Short Story sei dadurch weniger demokratisch als populistisch. So sehr diese Kritik im Einzelfall zutreffen mag, die von Eggers gesammelten Erzählungen sind tatsächlich im Spirit des viel besungenen „Home of the brave, and land of the free“ geschrieben, allerdings ohne das kitschig-pompöse Timbre der US-Nationalhymne zu reproduzieren.

In „The Best of McSweeney’s“ wird mit den Vogeleiern des Covers mutig (brave) und frei (free) experimentiert, sie werden mal ausgebrütet, mal zerschlagen und zerquetscht und anschließend wahlweise seziert oder als Ganzes durch den Wolf gedreht. Das gilt nicht nur für Rick Moodys Geschichte „Doppelnull“, die in einer wenig triumphalen Straußeneierschlacht gipfelt. In „K steht für Fälschung“ zum Beispiel erlaubt sich Jonathan Lethem nicht nur ein groteskes Rewriting des Kafka’schen Oeuvres: Wenn er beiläufig auf menschlichen Unterarmen eintätowierte Zahlen erwähnt oder berichtet, wie sich K. „über Nacht in einen Superhelden mit Cape verwandelt hat: Holocaustmann!“, weigert er sich, die Schoah als das rohe Ei des öffentlichen Diskurses anzuerkennen, dem man sich nur mit allergrößter Behutsamkeit nähern darf.

Ähnlich düster gestalten sich William T. Vollmans „Drei Betrachtungen zum Tod“. Nach einem Ausflug in die Pariser Katakomben setzt der Erzähler seine Recherche in der städtischen Autopsieabteilung San Franciscos fort, bevor er schließlich der kriegerischen Gewalt des Todes im Kosovo nachspürt. Dieser Text schlägt dem Leser nicht nur wegen seiner Thematik auf den Magen, sondern auch deshalb, weil er sich, wie auch George Saunders’ „Vier institutionelle Monologe“, nicht mehr an die leicht verdauliche Form der Short Story hält. Die beginnt zwar auch oft in medias res, aber eine Mitte und einen wenn auch noch so offenen Schluss hat sie meistens doch – wie zum Beispiel Zadie Smiths „Das Mädchen mit den Ponyfransen“, die vom Anfang und Ende einer lesbischen Beziehung handelt. Außerdem verzichtet die Britin als beinah Einzige darauf, ihre Geschichte mit surrealen oder magischen Elementen anzureichern, und damit ist „Das Mädchen mit den Ponyfransen“ der konventionellste Text dieser Sammlung – und zugleich der einzige nichtamerikanische.

Die anderen Short Storys arbeiten maßgeblich mit und an amerikanischen Klischees. Jonathan Ames’ „Die Nista-Affäre“ lässt Europa als unbekannten Kontinent erscheinen, in dem seltsame Literaturwettbewerbe fingiert werden. In Kate Bravermans „Was die Lilien wissen“ wird die inzwischen reichlich überalterte Hippiekultur der USA zugleich ironisiert und gewürdigt. Großartig auch der Beitrag des kürzlich verstorbenen Schriftstellers David Foster Wallace. Der Mutter des Erzählers ist infolge einiger missglückter Schönheitsoperationen das Gesicht eingefroren, und ihre Mimik ist nun auf den Ausdruck blanken Entsetzens festgelegt. Um zu vermeiden, dass sie dadurch ihr gesamtes Umfeld in helle Aufregung versetzt, muss ihr Sohn sie auf diversen Botengängen und Busfahrten begleiten, aber bei aller Fürsorge lässt er es sich nicht nehmen, seine Schwarze-Witwen-Kolonie stets in einem Aktenkoffer mit sich zu führen.

Auch in Arthur Bradfords „Mollusken“, wo zwei Freunde beim Ausschlachten verschrotteter Autos auf eine Riesenschnecke stoßen, ist der Erzähler eine reichlich exzentrische Figur, ein „Nerd“, wie man im amerikanischen Englisch sagen würde. Genauso wenig, wie es für „Nerd“ keine passende Entsprechung gibt, ergeben sich in den Storys selbst leider auch immer wieder Probleme bei der Übertragung ins Deutsche. Das typisch Amerikanische ist die größte Stärke dieser Short Storys, aber zugleich entsteht daraus eine große übersetzerische Herausforderung. Im Deutschen flucht man eben nicht mit den Worten „Jesus Christus“, und man würde auch nicht „Ich weiß, was wir machen“ sagen.

„McSweeney’s“ versammelt die Nerds unter den Short Storys – und ganz unanstrengend sind die keineswegs. Obwohl das vorliegende „Best of“ nicht einmal 300 Seiten lang ist, liest man viel länger daran als an einem Roman entsprechender Länge, und das nicht nur, weil man sich auf jeden Text neu einstellen muss. Kaum eine dieser Geschichten ist besonders amüsant oder bloß unterhaltsam.

Das gilt auch für die beiden besten Short Storys, Kevin Brockmeiers beklemmende Fantasie „Der Deckel“ und A. M. Homes’ „Bitte nicht stören“. Der klaustrophobische Effekt dieser Erzählungen wird durch den Icherzähler maßgeblich verstärkt, insgesamt sind nur vier der dreizehn Short Storys in der dritten Person verfasst. Vor den moralischen Konflikten, die A. M. Homes’ Erzähler durchleidet, als bei seiner Frau, von der er sich gerade mit gutem Grund trennen wollte, Eierstockkrebs diagnostiziert wird, gibt es kein Entrinnen. Man ist richtig dankbar für Dave Eggers’ „Short Short Storys“, die als knappe Intermezzi zwischen die längeren Texte der übrigen Autoren eingestreut und meist etwas lustiger sind.

Trotz aller neu entfachten USA-Begeisterung: „The Best of McSweeney’s“ wird kein Bestseller werden. Überhaupt sind Short Storys wenig beliebt bei Käufern und bei deutschen Verlagen, was äußerst schade ist. Umso mehr muss man Kiepenheuer & Witsch für dieses mutige Projekt danken, durch das sie der deutschen Leserschaft Zugang zu einigen herausragenden Beispielen dieses hierzulande eher unterrepräsentierten Genres verschaffen. Diese Short Storys bedrängen den Leser geradezu mit ihrer Präsenz – mehr als so mancher Roman sind sie amerikanische Gegenwartsliteratur, in der man die ganze Komplexität dieses Landes kennenlernen kann.

„The Best of McSweeney’s“. Herausgegeben von Dave Eggers. Aus dem Amerikanischen von Nikolaus Stingl. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008, 298 Seiten, 12,95 Euro