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: Ein immerwährender Flohmarkt der Fantasie

Mit „Die Reise ins Glück“ demonstriert Wenzel Storch, was der Fantasie widerfährt, wenn sie in Deutschland groß wird

Was einer Fantasie widerfahren kann, wenn sie in Deutschland groß wird, demonstrieren die Filme des Wenzel Storch. Sie will groß raus und bleibt seltsam klein. Sie treibt seltsame Blüten. Sie speist sich aus Zoten, Sprachmüll, Petzi-Büchern und dem Kinderprogramm. Sie erzählt Märchen und reichert sie mit Obszönem, Vulgärem und Dämlichem an. Sie tut, was sie will, aber sie wuchert dabei nicht ins Weite, sondern ins Groteske und Infantile. Der 2004 fertiggestellte und jetzt auch auf DVD erhältliche Film „Die Reise ins Glück“ etwa nimmt sich aus wie ein mehr oder minder attraktiv explodiertes Kinderzimmer und erinnert darin ans Werk des deutschen Erzkünstlers Jonathan Meese.

Wenzel Storchs Filme sind die opulenteste Arte Povera, die man sich vorstellen kann. Anders als für die beiden auf 8 mm gedrehten Vorgängerfilme „Der Glanz dieser Tage“ (1989) und „Sommer der Liebe“ (1992) hatte Storch für „Die Reise ins Glück“ dank Fördergeld, Benefiz (von u. a. Max Goldt und Wiglaf Droste) und Bankkredit (er ist bis heute massiv verschuldet, deshalb) ein beinahe ordentliches Budget. Zwölf Jahre lang insgesamt haben er und seine MitarbeiterInnen dran gebastelt. Und in der Tat: Das Staunen über die Inneneinrichtung dieser fantastischen Welt nimmt während der siebzig Minuten, die der Film währt, niemals ein Ende. Auf bizarre Weise umgerüstetes landwirtschaftliches Nutzwerkzeug begegnet dem märchenhaften Schneckenschiff, das später dann eine Kirche vögelt; pfleglich ist der Umgang des Regisseurs mit dem, was dieser oder jenem heilig ist, insgesamt nicht. Die von Storch selbst geführte Kamera macht zwischen dem Blöden und dem Schönen wenig Unterschied und schwenkt und schwankt zu Splatter wie Liebesgesäusel gleich benebelt.

Alle Räume des Schiffs sind ein in liebevollster Kleinarbeit zusammengezimmerter, immerwährender und hinreißender Flohmarkt der Fantasie. Darin: Kapitän Gustav (der Ex-Lkw-Fahrer und dezidierte Nichtschauspieler Jürgen Höhne, bereits aus Storchs anderen Filmen bekannt), der als Plastikkugel mit Plastikrohrarmen Sex hat mit Eva (Jasmin Harnau), die ihn einst seinem fiesen Kindheitsfreund Knuffi (Holger Müller) vorzog. Mit unter Deck, neben allerlei weiterem Gemensch und Getier: Eine Minstrel-Truppe, die auf selbst gebastelt aussehenden Instrumenten Musik macht – und Max Raabe singt den Song vom „Tellerlip Girl“ dazu.

Vorbei ist’s mit dem Frieden, als das Schneckenschiff und sein Käpten im Reich des widerlichen King Knuffi landen. Der hat nicht nur zwei dauerpissende Minister, sondern kidnappt noch Eva dazu, der es vor Knuffi sehr zu recht graust. Einen Bären, der mitspielt, spricht Harry Rowohlt, ein Kaninchen, das beim Rammeln mutiert, Konkret-Kolumnist Horst Tomayer. Der Plot ist auf LSD – und von Interesse insgesamt weniger, wie alles zusammenhängt, sondern sehr viel eher, wie jedes Element dieses Films, nimmt man es für sich, im Einzelnen ist. Die Sprache zum Beispiel ist ein eigen Ding. Der große Synchronsprecher Friedrich Schoenfelder (die Stimme u. a. David Nivens und John Gielguds) erzählt die Geschichte im durchgehaltenen Märchenton. Bei dem Siebziger- und Achtzigerjahre-Sprachmüll, den alle anderen hier fortwährend absondern, fliegt einem dann allerdings echt das Blech weg.

Den einen Begriff, auf den man „Die Reise ins Glück“ bringen könnte, gibt es nicht. Underground meets Puppenstube, Kenneth Anger meets Pippi Langstrumpf. Blutiger Splatter und sexwütige Omas teilen sich Raum und Zeit im Storch-Universum, das eines auf jeden Fall ist: eine politisch niemals korrekte Jungsfantasie. Man muss das alles keineswegs liebenswert finden, aber gesehen haben sollte man es, weil es seinesgleichen nicht kennt, schon.

EKKEHARD KNÖRER

Die DVD-Veröffentlichung wird begleitet durch überbordendes, auf zwei weitere DVDs verteiltes Begleitmaterial, das keine Frage zur Storch-Welt offen lässt. Zu haben exklusiv bei www.cinemasurreal.de für 25 €