Calvin-Ausstellung: Von Freiheit und Gottesfurcht

Johannes Calvin gilt als Vordenker der protestantischen Ethik und damit des Kapitalismus. Das Deutsche Historische Museum widmet ihm eine Ausstellung zum 500. Geburtstag.

Johannes Calvin: Nicht unbedingt für seine Lebenslust bekannt. Bild: Dt. Historisches Museum

Wie kann die Bedeutung religiöser Konflikte im 16. und 17. Jahrhundert für die heutige Zeit nacherlebbar gemacht werden? Indem das Deutsche Historische Museum anlässlich des 500. Geburtstages des Reformators Johannes Calvin eine Ausstellung über den Calvinismus erarbeitete, hat es eine fast unlösbare Aufgabe geschultert. Zwar kannte auch und gerade das 20. Jahrhundert äußerst blutig verlaufene ideologische Kriege. Aber die Einsicht in die Wurzeln ideologischen Streits hilft uns nicht weiter, wenn wir verstehen wollen, wieso der Streit um das Transsubstantionsproblem beim Abendmahl oder die Frage, ob die Vorbestimmtheit des Menschen zu Verdammung oder Erlösung erst nach dem Sündenfall oder schon vom Anfang aller Zeiten gegolten hat, zu Mord und Totschlag führte.

Die Ausstellung hat grundlegende Dokumente des reformatorischen Glaubens versammelt, darunter eine Reihe von Erstdrucken, Korrespondenzen und Handschriften. Das Problem dieser Präsentation besteht indes darin, dass der bei ihnen verweilende Besucher bereits vorher wissen muss, worum es eigentlich geht. Aus Furcht vor Überpädagogisierung haben es die Ausstellungsmacher bei ein paar kargen Anmerkungen belassen, sodass das Studium des hervorragenden Katalogs eigentlich die Voraussetzung für den Besuch der Ausstellung bildet. Zur Verteidigung der Kuratoren sei allerdings vermerkt, dass bei einer so bilderfeindlichen Religion wie der reformierten die sowieso schwierige Illustration von Glaubensfragen noch einiges schwerer fällt.

Den Ausstellungsmachern ist es gelungen, für den theologischen Eingangsbereich einige sehr einfallsreiche Gemälde aufzutreiben, die in allegorischer Form die "Papisten" respektive ihre protestantischen Gegner verunglimpfen. Besonders eindrucksvoll zu sehen in dem Gemälde "Abwägen der Religionen", wo in satirischer Übernahme der mittelalterlichen Seelenwaage das liturgische Gerät der Katholiken abgewogen wird gegenüber der Bibel, die allein in der anderen, der calvinistischen Waagschale liegt. Die Bibel obsiegt.

Vom Schrecken des Zeitalters der "Konfessionalisierung" und der Härte des Streits auch innerhalb der protestantischen Kirchen allerdings künden nur wenige Ausstellungsstücke. Hier sei das Richtschwert genannt, mit dem der reformierte Kanzler Kursachsens hingerichtet wurde. Es trägt (in deutscher Übersetzung) die Inschrift "Hüte Dich, Calvinist Nikolaus Krell".

Angesichts der Schwierigkeiten, dem Calvinismus als religiösem -Ismus mittels einer Ausstellung beizukommen, haben sich die Kuratoren auf die Darstellung der reformatorisch beeinflussten politischen und Kulturgeschichte Europas geworfen. Hier bewegen sie sich - man denke nur an die Fürstenporträts als Aussteller oder die Geschichte des Freiheitskampfs der reformierten Niederlande, auf sicherem Gelände, allerdings auch auf allseits bekanntem.

Wichtiger als das Repetitorium der dynastischen Verbindungen reformatorischer Fürstenhäuser erscheint in späteren Abschnitten der Ausstellung die Behandlung der Frage, was das Leben der Calvinisten eigentlich ausmachte und wie sie sich in der Lebenspraxis von den anderen rivalisierenden Religionen unterschieden.

Die Ausstellung benennt als herausragende Eigenschaften der Calvinisten Fleiß, Bescheidenheit, Pflichtbewusstsein und Verantwortungsgefühl und sie attestiert den Gläubigen nimmermüde "gewerbliche Betriebsamkeit". Die Autonomie jeder Gemeinde, die Wahl der Presbyter als Gemeindeälteste, die antihierarchische Tendenz ihrer Versammlungen, die Gewaltenteilung bei den Aufgaben - all das wird als günstiger Nährboden für eine frühneuzeitliche republikanische Haltung ausgemacht. Dem Calvinismus des Hofes, etwa den calvinistischen Hohenzollern, stand der Calvinismus der Flüchtlinge und Migranten gegenüber. Deren Weltsicht und deren produktive Leistungen herausgearbeitet zu haben, macht das Hauptverdienst der Ausstellung aus.

Die Kehrseite dieser Vorläuferformen der Demokratie bildete die strenge Kirchenzucht, die Strafgewalt der Presbyter, die öffentliche Anprangerung der Sünder bis zum Ausschluss aus der Abendmahlsfeier. Ideologisch stand aber der Gedanke der Versöhnung im Vordergrund. Freilich mit drastischen Mitteln. Die Ausstellung zeigt das Protokoll, nach dem streitende Eheleute in Bern in eine Zelle gesperrt wurden. Ihnen wurde nur ein Löffel gegeben, den sie gemeinsam benutzen mussten. Erst nach der Versöhnung wurden Marken ausgegeben, die es ihnen erlaubten, wieder am Abendmahl teilzunehmen

Die große Bedeutung des Abendmahls als Versöhnungsfest und "Eidgenossenschaft" der Gemeinde zeigt sich in der Ausstellung in einer sehr geglückten Präsentation. In einem verglasten Raum ist ein Altartisch mit mehreren Kelchen aufgestellt. Dahinter wird die ganze Breite der Wand von der Vergrößerung eines Stichs eingenommen, der eine reformierte Gemeinde bei der Abendmahlsfeier zeigt. Das Arrangement erinnert an die früheren Panoramen und verleiht den liturgischen Geräten eine Art historischer Lebendigkeit.

Die reformierten Gemeinden sahen in sozialer Fürsorge ein Grundelement gottgefälliger Praxis. Eindrucksvoll ist diese Haltung in dem Gruppenbildnis der Emdener Gasthaus-(gleich Armenhaus-)diakonie von 1659 zu besichtigen. Das im Stil des niederländischen "Goldenen Zeitalters" gemalte Bild zeigt die Versammlung der mit der sozialen Fürsorge befassten Diakone. Alle schwarz gekleidet mit Halskrause, alle sehr ernst und streng. Denn es geht um ein Kind, das rechts an einem Tisch stehend der Aufnahme ins "Gast"-haus harrt. In der Hand hält es ein Geldstück, offenbar eine milde Gabe. Dass das Gruppenbild aus Emden kam, ist kein geografischer Zufall, denn Emden war seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine der Hauptstützen der Reformierten. Hier organisierte auch Jan Laski ("Johannes a Lasco"), ein exilierter polnischer Prediger und Humanist, erfolgreich die Gemeindearbeit.

Die Ausstellung unterrichtet uns über die verwickelte Wirkung des reformierten Glaubens auf die europäische (und nordamerikanische) Geschichte. Implizit weist sie damit die schematische Auffassung zurück, nach der es allein der calvinistische Glaube an die Prädestination gewesen sei, der den modernen Kapitalismus hervorgebracht habe. Dieser Erkenntnisgewinn wird allerdings etwas gemindert durch die harmonisierende Tendenz der Ausstellung, die Glaubensterror und Krieg mit einer leichten Schicht von Puderzucker überdeckt. Sehenswert ist sie dennoch allemal.

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