Frank Schätzings "Limit": Science-Fiction in der Krise

Ihre beste Zeit hat die Science-Fiction-Literatur hinter sich. Sie steckt in einer tiefen Krise. Der Bestsellerautor Frank Schätzing weiß in seinem neuesten Roman "Limit" auch keinen Ausweg.

Solche Bilder kann der kreative Rechercheur Frank Schätzing im Internet finden: computergenerierte Studie eines Mondfahrzeugs. Bild: ap

Der Schwarm" war ein großer Wurf. Frank Schätzings Wissenschaftsthriller, in dem gleich zu Beginn weite Teile Europas infolge eines gewaltigen Meeresbebens überflutet wurden, eroberte im Jahr 2004 aus dem Stand heraus die Bestsellerlisten. 3,8 Millionen Mal ist der 1000-Seiten-Roman allein im deutschsprachigen Raum über den Ladentisch gegangen. 2006 schob Schätzing noch ein populäres Sachbuch über Meeresbiologie nach, eine Art "Making of" zu "Der Schwarm". Und ab dann hieß es warten.

Jetzt ist er da, der "neue Schätzing", ein Science-Fiction-Roman mit dem Titel "Limit". Es ist das Jahr 2025, und die USA und China suchen auf dem Mond nach dem Gas Helium-3, das die zur Neige gehenden fossilen Brennstoffe ersetzen soll. Die Amerikaner sind dabei auf die Infrastruktur angewiesen, die ihnen ein ehrgeiziger Unternehmer namens Julian Orley zur Verfügung stellt. Ein "Spacelift", ein überdimensionierter Lastenaufzug, soll die Strecke zwischen der Erde und einem Verladebahnhof im Orbit überbrücken. Jetzt fehlen nur noch die Investoren. Also überredet Orley eine Gruppe von Millionären zu einem Ausflug auf den Mond. Das geballte Risikokapital der Erde macht sich auf in die Schwerelosigkeit und wird dort zum Opfer eines terroristischen Anschlags: Das ist der Ausgangspunkt, von dem aus Schätzing in ein auf den ersten Blick rasantes Action-Szenario startet.

"Limit" ist überraschend fest im Hier und Jetzt verankert. Die Idee, Helium-3-Vorkommen außerhalb der Erde zu erschließen, existiert seit Mitte der Achtziger. Sogar der "Spacelift" ist Ende des 19. Jahrhunderts bereits von dem russischen Physiker Konstantin Ziolkowski beschrieben worden. Das ist das erste Problem dieses Buchs: Diese Hintergrundinformationen kann man sich innerhalb weniger Minuten im Internet zusammenklicken. Probieren Sie das ruhig zu Hause aus, es spart Zeit und Geld. Eine Google-Anfrage mit den Suchbegriffen "bemannte Raumfahrt" und "Helium-3" liefert einen guten Ausblick auf den Inhalt des Romans.

Spaß beiseite. Frank Schätzing weiß natürlich noch ein bisschen mehr, als das Internet zu bieten hat. Der ehemalige Werbeunternehmer hat ein großes Talent zur kreativen Recherche, das hat er bereits in "Der Schwarm" gezeigt. Damals trat neben die science faction allerdings die (hoffentlich) fiktive Vorstellung einer aus maritimen Kleinstlebewesen vernetzten Intelligenz, die einen Rachefeldzug gegen die Menschheit beginnt. Der beunruhigende Verdacht, dass es "da draußen" etwas geben könnte, das uns an den Kragen will, weil wir es mit dem Raubbau an der Natur ein bisschen zu weit getrieben haben, sorgte für eine bedrohliche Grundstimmung und damit für den richtigen Thrill.

In "Limit" verzichtet Frank Schätzing auf solche unheimlichen Begegnungen der dritten Art und verlässt sich ganz allein darauf, die technischen Möglichkeiten der Gegenwart in die Zukunft hochzurechnen: mit bemannten Mondstationen, fliegenden Motorrädern und, wow!, einem sprechenden Computer. Früher hat so etwas in der Science-Fiction-Literatur ganz gut funktioniert. Zu Beginn des 21. Jahrhundert haben sich die Rahmenbedingungen des Genres allerdings entscheidend verändert. Der technische Fortschritt hat eine märchenhafte Geschwindigkeit erreicht, oder, um es mit einem der wenigen klugen Sätze aus "Limit" zu sagen: "Nachdem sich die Wirklichkeit von der Science-Fiction-Literatur emanzipiert hat, greift sie nun ihre Ideen auf." Diese Entwicklung schlägt nun auf die Literatur zurück. Nachdem die Wirklichkeit selbst zur Science-Fiction geworden ist und eine durchschnittliche Wissenschaftsreportage sich wie ein Auszug aus einem Michael-Chrichton-Roman liest, steckt das Genre in einer tiefen Krise.

"Limit" zeigt keinen Ausweg, ganz im Gegenteil. Wie viele seiner hilflosen Kollegen versucht Frank Schätzing, die visionären Defizite mit den dramaturgischen Mitteln eines Hollywood-Blockbusters auszugleichen. Doch ein Buch ist kein Film. Das ist das zweite Problem. Kinoreife Action wirkt auf dem Papier immer etwas blass, und vermeintlich spritzige Dialoge formen noch lange keine Charaktere. So liest sich dieser viel zu dicke Roman wie ein auf 1.300-Seiten aufgeblasenes Drehbuch von der Stange: ziemlich ermüdend. Während eine "Geheimorganisation" das amerikanische Helium-3-Projekt zu sabotieren versucht, jagt eine knappe Hundertschaft gesichtsloser Protagonisten über den Mond und produziert selbst am Rand des kargen Mare Frigoris noch einen schlechten Kalauer nach dem nächsten: "Und warum wird so ne olle Wüste Meer genannt?" Gut möglich, dass solche munteren Plaudereien im Weltraum bald zum Alltag gehören. Um die nahe Zukunft der Science-Fiction-Literatur steht es hingegen schlecht.

Frank Schätzing: "Limit". Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009, 1.320 Seiten, 26 Euro

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