„Vergebene Chance“

WO IST DER KONTEXT? Der Musemswissenschaftler Michael Fehr übt Kritik am Konzept der sanierten Nikolaikirche

■ Fehr ist seit 2005 Direktor des Instituts für Kunst im Kontext an der Universität der Künste Berlin. Zahlreiche Bücher von ihm befassen sich mit der institutionellen Rolle des Museums. 1987 bis 2005 war Fehr selbst Museumsdirektor und probierte am Karl-Ernst-Osthaus-Museum in Hagen neue museale Formen aus. Seine mit Texten und Projekten reich bestückte Website: www.aesthetischepraxis.de.

INTERVIEW RONALD BERG

taz: Herr Fehr, vor zwei Wochen wurde die Nikolaikirche nach umfassender Sanierung wiedereröffnet. Wird diese Abteilung der Stiftung Stadtmuseum mehr Besucher anziehen als das ja nur schwach besuchte Haupthaus, das Märkische Museum?

Michael Fehr: Das kann ich der Nikolaikirche nur wünschen, und das ist auch zu erwarten, weil sie mitten im historischen Stadtkern liegt, der ja ein beliebtes touristisches Ziel ist. Allerdings ist eine, wie man heute sagt, gute Location wohl nicht alles, was für den Erfolg eines Museums entscheidend ist. Da spielen andere Faktoren sicherlich eine ebenso große Rolle.

Da meinen Sie wahrscheinlich das Thema und die Gestaltung eines Museums. Wie schätzen Sie unter diesen Gesichtspunkten die Nikolaikirche ein?

Als Museum betrachtet, ist die Nikolaikirche etwas widersprüchlich: Bei ihr handelt es sich ja zunächst einmal um ein bedeutendes Baudenkmal, das mit viel Aufwand saniert, wiederhergestellt und zum Museum erklärt wurde. Damit hat das an mittelalterlichen Bauwerken nicht gerade reiche Berlin einen beeindruckenden historischen Raum wiedergewonnen. Und das finde ich gut.

Doch hätte ich mir gewünscht, dass die bewegte Geschichte des Gebäudes und seiner unterschiedlichen Nutzungen nicht nur in einem kleinen Film dokumentiert, sondern viel deutlicher als jetzt geschehen am Bauwerk selbst sichtbar gemacht worden wäre. Jedenfalls hätte sich in dieser Geschichte bis hin zu der bemerkenswerten Tatsache, dass die Kirche erst in den 1980er-Jahren, also zu DDR-Zeiten, als ein das Stadtbild prägendes Element wiederaufgebaut wurde, vielleicht ein Ansatz finden lassen, wie sie zu einem Element eines historischen Museums der Stadt Berlin hätte werden können. So, zum Hauptexponat des Museums deklariert und weitgehend als Kirche ausstaffiert, scheint mir nicht klar, ob die Nikolaikirche als wiederhergestelltes Denkmal oder als ein Museum zur Geschichte der Religionen in Berlin besucht werden soll.

Es wird nicht klar, welche Zielgruppe sich für die Nikolaikirche interessieren soll?

Ich vermute, dass man vor allem Touristen erwartet. Jedenfalls scheinen Berliner türkischer Abstammung nicht zur Zielgruppe zu gehören, denn sonst hätte man die Erläuterungstexte nicht nur in den gängigen Fremdsprachen zur Verfügung gestellt. Für jemanden, der nicht aus dem abendländisch-christlichen Kulturkreis stammt oder damit vertraut ist, dürfte die Nikolaikirche in der gegenwärtigen Fassung den Charakter eines ethnologischen Museums, also eines Hauses mit sehr fremd wirkenden, jedenfalls hoch erklärungsbedürftigen Exponaten haben.

Stellt sich dieses Problem nicht bei allen zur Besichtigung freigegebenen Kirchen oder anderen Kultusräumen?

Nein, das glaube ich nicht. Denn wenn ein solcher Raum religiös genutzt wird, dann verstehe – und respektiere – ich zumindest, dass er diese Funktion hat. Bei einem musealen Raum fällt diese Funktion jedoch weg, und damit stellt sich die Frage, wie ich mich zu den ausgestellten Dingen und zum ehemals sakralen Raum angemessen verhalte. Da braucht es also einen Bezugsrahmen, der mich die Dinge einordnen lässt. Sind, wie bei der Nikolaikirche, Rahmen und Exponat praktisch identisch, dann muss ich entweder das Wissen mitbringen, aufgrund dessen ich das Ganze einordnen kann, oder kann nur ins Staunen verfallen.

Und wo ist da das Problem?

Das ist kein Problem, sondern eine vergebene Chance. Es ist ja alles andere als selbstverständlich, dass wir alles Mögliche aufheben und mit großem Aufwand in speziellen Einrichtungen ausstellen. In Museen sehen wir nicht nur historische Phänomene oder Dinge, die aus unserem Alltag fallen, sondern können wahrnehmen, welches Bild wir von uns als historische Subjekte entwerfen. Das Museum kann also ein Ort der Reflexion sein – und dazu fühle ich mich in der Nikolaikirche nicht gerade verführt.

Verführung in einem anderen Sinne scheint ja gerade das große Thema in der neueren Museumsentwicklung zu sein. Ich denke da zum Beispiel an das Neue Museum, dessen Ausmalungen auch als Fragmente noch faszinieren, und natürlich an das Märkische Museum, wo Architektur die Geschichte wie in einer Theaterkulisse inszeniert. Wie sollte man bei der anstehenden Renovierung mit dem Märkischen Museum umgehen?

Das Märkische Museum war tatsächlich eine Eventarchitektur avant la lettre, ein Stimmungsmuseum, wie sein Architekt Ludwig Hoffmann selbst gesagt hat. So ein Haus lässt sich nicht modernisieren, sondern kann, glaube ich, nur als ein historisches Zeugnis wieder zur Wirkung gebracht werden. Das muss jedoch nicht bedeuten, dass es gewissermaßen eingefroren würde. Vielmehr könnte man es mit seinen Mitteln weiterentwickeln. Man muss sich ja nur ausmalen, was aus dem Museum geworden wäre, wenn es Hoffmann nicht aus der Hand genommen oder im Krieg zerstört worden wäre: Er hätte es mit Sicherheit weiterentwickelt und den Verhältnissen angepasst.