Letzte Menschen unter freiem Himmel

FESTIVAL Das Musiktheaterfestival „Open Op“ an der Neuköllner Oper zeigt internationale Produktionen wie „De vliegende Hollander“. Sie interpretieren Operntraditionen mal boulevardesk, mal dekonstruiert

Dieses Festival gehört zu Neukölln, deswegen dominieren kieznahe Themen

VON KATHARINA GRANZIN

„Festival“ klingt nett; kleiner irgendwie, als das damit bezeichnete Event manchmal ist, und ein bisschen nach einer Party, zu der man alle seine Freunde mitbringen darf. Gleichzeitig ist es kein Wort, das man im Zusammenhang mit dem Begriff „Neukölln“ schon oft benutzt hätte. Auch in dieser Hinsicht hat „Open Op“, das „Europäische Festival für anderes Musiktheater“, etwas Neues in die Stadt gebracht. Mit großzügiger finanzieller Hilfe durch die Kulturstiftung des Bundes haben die Macher der Neuköllner Oper acht Tage mit Musiktheaterproduktionen aus mehreren europäischen Ländern auf die Beine gestellt. Jetzt erklimmen etwas andere Zuschauer das endlose Treppenhaus zum fünften Stock; ein Festivalpublikum, das im Durchschnitt jünger, unakademischer und etwas weniger adrett wirkt als das Stammpublikum des kleinsten Berliner Opernhauses, in dem die Oper schon immer ohne Berührungsängste ausgeweitet wurde in umliegende Genres.

Das Programm von Open Op ist auch deshalb spannend, weil die Produktionen aus vielen verschiedenen Ecken kommen, geografisch wie künstlerisch. Reine Oper gibt es dabei kaum, am nächsten kommt dem klassischen Konzept noch die Neuköllner Oper selbst, die ihre Eigenproduktion „Stadt der Hunde“ eingebracht hat.

Wohl aber waren im Festival bisher eine Reihe von Musiktheaterproduktionen zu sehen, die „Oper“ als Konzept in den Fokus nehmen; hier kleinkünstlerisch-boulevardesk wie in der „kleinsten Gala der Welt“, dort sich dekonstruierend an Gattungsklassikern abarbeitend. In der niederländischen Produktion „De vliegende Hollander“ etwa wurde Wagners Oper zur Inspiration für ein musikalisches Puppen- und Objekttheater.

Noch weitaus verfremdeter konnte man Mozarts „Zauberflöte“ in der großartigen Zurichtung des Esten Peeter Jalakas antreffen. An einem Tischchen vor einem aufgeklappten MacBook sitzend (provokant leuchtet der Apfel), erzählt Jalakas die verworrene Geschichte der Zauberflöte als „alchemistische Tragödie“. Ein großes Video-Triptychon beherrscht die Bühne, auf dem Tamino und Papageno, als letzte Menschen auf der Erde, mühsam letzte Worte im Todeskampf sprechen. Bevor der Tod eintreten kann, werden sie vom Erzähler ins Gespräch verwickelt. Zwei Musikerinnen simulieren mit zwei Instrumenten erfolgreich ein ganzes Orchester, ein paar berühmte Arien werden sehr sachlich vom „technischen Personal“ mit kunstvoll ungeübten Stimmen gesungen, und ein riesiger Haufen roter Plastikteile bildet die wichtigste und fast einzige Requisite. Verrätselt und versponnen, intellektuell inspirierend und musikalisch beglückend ist das alles, dabei auf geheimnisvolle Weise perfekt konstruiert. Ein Jammer, dass so viele Sitze leer geblieben waren. Natürlich sind auf einem Festival alle, die mitmachen, irgendwie gleich; aber wenn man mal eine echte Perle im Programm hat, täte man durchaus recht daran, im Vorfeld ein wenig extra Tamtam darum zu machen.

Aber letztlich gehört dieses Festival eben auch Neukölln. Dass man bei aller Internationalität einen inhaltlichen Schwerpunkt auf kieznahe Themen legt, liegt nahe. Und man möchte, neben den rauen Umgangsformen, wie sie in „Stadt der Hunde“ aufs Korn genommen werden, und dem spießigen Kleinbürgermilieu, das von der Produktion „Schreberzone“ beleuchtet wird (heute, 21 Uhr), auch die andere Seite Neuköllns zeigen, das bunte Neben- und Miteinander, das es eben auch gibt. Zum krönenden Abschluss der großen Musiktheaterparty wird es daher am Wochenende zwei Aufführungen eines Projekts geben, das einen Laienchor, gebildet aus Einwohnern und Neukölln-Sympathisanten, mit einem Profi-Ensemble aus Antwerpen vereint. Die musikalische Leitung bei diesem „New Babel Sounds“ genannten Projekt hat der als Extremvokalist bekannte US-amerikanische Stimmkünstler David Moss.

Zu seiner Arbeit mit Laienchören sagt Moss: „Es ist ein etwas exzentrischer persönlicher Stil, den ich habe. Abstrakter als das, was man vielleicht sonst kennt.“ Es gehe ihm vor allem darum, den Menschen Freude an ihrer eigenen Stimme zu geben und die Musik wieder in den öffentlichen Raum zu bringen. „New Babel Sounds“ ist für das Gelingen auf gutes Wetter angewiesen, denn ein Teil der Performance wird im Freien gegeben, und der Neukölln-Chor wird von den Balkonen des Neuköllner Opernhofes aus die lauschende Nachbarschaft beglücken. Bei dieser Veranstaltung ist der Eintritt übrigens frei.

■ Noch bis 18. April. „New Babel Sounds“: Beginn 19 Uhr, Richardstr. 105