Entblößung auf dem freien Markt

DUNKELHEIT Der Ex-Straßenmusiker Hans Unstern veröffentlicht sein romantisch-poetisches Debütalbum „Kratz Dich Raus“

Eine Begegnung mit Hans Unstern bringt die Erkenntnis, dass man ihm besser nicht begegnet

VON THOMAS WINKLER

Es ist ein trüber, wolkenverhangener Frühlingstag. Das frische Grün des Görlitzer Parks glitzert feucht, die Luft ist zäh, und das Leben scheint ein wenig schwerer als sonst schon. Also ein Tag wie gemacht für die Musik von Hans Unstern. Er guckt durchs Fenster des Cafés hinaus in die Grünanlage, vielleicht weil er dort etwas sieht, wohl weil sein Blick ständig mäandert, weil er reden muss, obwohl er eigentlich nicht reden will, über seine Musik, die so gut zu diesem seltsam dickflüssigen Tag passt.

Am liebsten würde er gar nichts sagen. Sagt er. Er singt doch schon. Er macht Musik, sehr sperrige, aber auch wunderschöne Musik, die einen unweigerlich berührt oder unwillkürlich. Damit, mit seiner Musik und seinen Texten auf seinem Debütalbum „Kratz Dich Raus“, sagt Hans Unstern, „habe ich alles gesagt“.

Denn ansonsten verweigert der Künstler die üblichen Begleitumstände eines Künstlerdaseins auf dem freien Markt. Er verbirgt nicht nur sein Gesicht hinter einem Bart, er gibt auch keine Hilfestellung bei der Interpretation seiner wundervoll verschlüsselten Texte. Er enthüllt keine biografischen Details, er verrät nicht einmal seinen echten Namen.

Ansichten eines Clowns

Man kann nun Detektiv spielen, die wenigen Informationen zusammentragen. Das aber führt nicht weit. Der Mann, der sich Hans Unstern nennt, soll irgendwann in den Achtzigerjahren das Licht dieser Welt erblickt haben. Er soll aus dem Hessischen stammen, dort einmal in einer Rockband gespielt haben. Andere vermuten, dass er aus Österreich kommt, weil er immer wieder mit Musikern der aus Wien stammenden Band Ja, Panik zusammenarbeitet und sein Album auf deren Label erscheint. Wenn dem so wäre, dann tarnt er seinen Dialekt sehr gut. Bekannt ist immerhin: Den Vornamen seines Pseudonyms adoptierte Unstern vom Protagonisten von Heinrich Bölls „Ansichten eines Clowns“. Über den Nachnamen stolperte er in einem anderen Roman.

Der Clown, sagt Unstern, ist eine „sympathische Figur“. Er mag „das Inszenieren, sich schminken, in Rollen schlüpfen“. Und vor allem, dass der Clown „auf keinen Fall den Anspruch hat, authentisch zu sein“. Dieser Hans Schnier aus Bölls Roman ist ein Komiker, der als Bettler endet. Die Stücke von „Kratz Dich Raus“ wiederum entstanden, in den Anfängen zumindest, auf einer Reise, in der Unstern als Straßenmusiker seinen Lebensunterhalt bestritt. Manche der Stücke tragen Titel, „Paris“, „Anglet“, „San Simon“, die nahelegen, dass diese Reise, von der Unstern zugibt, dass es sie immerhin gab, durch Westeuropa führte.

Eine Begegnung mit Hans Unstern bringt so vor allem die Erkenntnis, dass man ihm besser in seiner Musik begegnet. Denn dort entblößt er sich radikal. Einerseits. Andererseits aber ist die Musik so sperrig, die Texte so mysteriös, dass jede Suche nach Authentizität scheitern muss. „Der letzte Funken Wahnsinn in mir bleibt unentfacht“, singt er zwar. Aber kurz darauf verwandelt er sich in einen „Igel auf Deinem Kopfkissen“. Oder er befiehlt: „Schäl Dich aus dem Torf!“ Dazu klimpert mal ein Klavier, brutzelt mal eine elektrische Gitarre, quietscht eine Tröte oder schiebt sich ein verlorenes Akkordeon ins Bild. Das wirkt manchmal fast wie ein Orchester, das beim Stimmen vom Rezitator überrascht wird. Auf der Bühne, auf die Unstern mal allein mit Gitarre geht, mal mit (dauernd wechselnden) Musikern, ohne aber vorher groß zu üben, wird es noch eindringlicher, verschwindet der Künstler hinter seiner Kunst, die den Zuhörer wegträgt in die eigenen Assoziationen.

Genau das aber ist es, was „Kratz Dich Raus“ so bemerkenswert, so wertvoll macht. Dass hier jemand seine Poesie nicht absichert mit Ironie, sich selbst aber trotzdem so geschickt versteckt, dass dem Zuhörer der Blick frei wird auf die eigenen Ängste und Dunkelheiten.

Unsterns Musik ist nicht nur düster. Sie zeichnet sich auch aus durch eine bewundernswert naive Romantik und einen leisen Humor, mit denen die teils bedrückende Nacktheit mancher Texte bewusst gebrochen wird, die sich beide aber auch oft erst spät erschließen. Aber dafür im Idealfall sogar direkt aufeinander treffen, so in einem der schönsten Stücke dieses zwar kaum vierzig Minuten langen, aber an schönen Stücken wahrlich nicht armen Albums: In „Endlos endlos“ hätte der Sänger gern mit einer gewissen Mathilde getanzt „mitten auf der Nase des blassen Mondes“, aber eben auch „im Supermarkt vor dem Salat“.

Es gäbe ein Missverständnis aufzuklären, sagt Unstern irgendwann im Gespräch. Ihm gehe es darum, „der Wirklichkeit eine Absage zu erteilen, diesem wahnsinnig durchorganisierten Leben einen möglichsten freien Entwurf entgegenzusetzen“. Seine Musik sei für ihn auch „eine Art Therapie“. Und nicht nur das: „Für mich ist das Popmusik.“ Pop ist den meisten anderen Menschen vermutlich etwas ganz anderes. Draußen im Park hat nun ein leiser Regen eingesetzt. Es ist Zeit, Hans Unstern zu begegnen.

■ Hans Unstern: „Kratz Dich Raus“ (Nein, Gelassenheit/Staatsakt/ Rough Trade). Live am 21. 6. bei der Fête de la Musique