Zynische Idyllen

POP Ein Misanthrop hält Rückblick: „21th Century Man“ von Luke Haines

Der Grantler ist nicht mehr auf Dauerzynismus abonniert. Es gibt Akustikgitarren und eine pastorale Orgel

VON THOMAS HÜBENER

Luke Haines ist einer der letzten großen Exzentriker des britischen Pop. Als Kopf der Glam-Popper The Auteurs saß er bereits Anfang der Neunzigerjahre zwischen allen Stühlen. Während sich damals mit Bands wie Blur, Elastica und Pulp britischer Widerstand gegen den schwitzig-maskulinen amerikanischen Grunge artikulierte und in Cool Britannia das Tragen der richtigen Retro-Trainingsjacke modepolizeilich überwacht wurde, sang Haines mit giftiger Stimme über Kindermörder, Psychopathen und brennende Flugzeuge.

Sein Projekt Baader Meinhof bewarb er, indem er den Promotions-Exemplaren Anleitungen zum Bau von Tränengasbomben beilegte. Mit der Band Black Box Recorder und ihrer zwischen Unterkühltheit und Empathie pendelnden Sängerin Sarah Nixey versuchte er drei Alben lang, den giftigen Wurm im glasierten Apfel des radiotauglichen Pop zu geben. 2001 rief er im Geist der Situationistischen Internationale einen einwöchigen nationalen Pop-Streik aus, um gegen musikalischen Konformismus zu demonstrieren.

Nachdem Anfang 2009 unter dem Titel „Bad Vibes: Britpop and My Part in Its Downfall“ eine so maliziöse wie komische – und demnächst auch auf Deutsch erhältliche – autobiografische Abrechnung mit dem Phänomen Britpop erschienen ist, legt der diplomierte Sarkast nun sein drittes Soloalbum vor. In Stücken wie dem verspielten, an Ray Davies erinnernden „Love Letter To London“ oder dem an alte Auteurs-Songs anschließenden „English Southern Man“ äußert sich die Haines-typische Vorliebe für britisches Lokalkolorit, wie man sie sonst allenfalls vom frühen Morrissey kennt. Auch seinem Faible für Getriebene und Außenseiterexistenzen bleibt der Songwriter treu.

Das Stück „Klaus Kinski“ handelt von der Rückkehr des Schauspielers von den Toten. Sein Ziel: die Terrorisierung der wenigen Zuhörer, die 1971 bei der Skandalrezitation „Jesus Christus Erlöser“ im Saal der Berliner Deutschlandhalle blieben. Haines verwendet Originalauszüge aus Kinskis Monolog und legt dem deutschen Egomanen die Zeilen „Who needs people? Who needs friends? They only drive yo ’round the bend“ in den Mund. Sie könnten auch das Lebensmotto der misanthropischen Bühnenpersona des Briten sein.

Dennoch ist der Grantler in lyrischer Hinsicht nicht mehr ausschließlich auf Dauerzynismus abonniert. Das von sanften Akustikgitarren, Glockenspiel und einer pastoralen Orgel getragene Eröffnungsstück „Suburban Mourning“ vergisst zwar nicht, die „Satanists who moved next door“ zu erwähnen, entfaltet aber ansonsten eine nur leicht resignativ eingefärbte Idylle des Vorstadtlebens.

Überhaupt scheint die Zeit für melancholische Rückblicke angebrochen: Das Titelstück, eine streicherdurchwirkte Ballade mit Siebzigerjahre-Gitarrenlicks, ist eine Lebensbilanz, die das Geschichtliche mit dem Privaten verbindet. Im Songtext verknüpft Haines den vorgetäuschten Selbstmord des Politikers John Stonehouse in den Siebzigern mit dem eigenen Auszug aus dem Elternhaus, die schlechte „slap bass phase“ David Bowies in den Achtzigern mit dem Dasein als „Star im Wartestand“. So entsteht ein Mosaik der letzten Dekaden des 20. Jahrhunderts. Dort liegen auch die musikalischen Wurzeln von Haines. Ein „21st Century Man“ aber sei er, singt der 42-Jährige, weil er im 21. Jahrhundert sterben werde. Bis dahin dauert es hoffentlich noch viele Alben.

Luke Haines: „21st Century Man“ (Fantastic Plastic/Import)