LATEINER IN BERLIN
: Ubi est Obi?

„Romanus es?“, frage ich. „Sic!“, sagt er

Von weitem ist bereits der M141 zu sehen, der wie ein besoffener Wurm auf gerade mal noch drei Reifen um die Kurve eiert. Gebannt belausche ich die beiden jungen Männer neben mir an der Bushaltestelle: „Nunc advenit omnibus.“ – „Pocblic! Rapidus est!“ – „Gaudeamus igitur! Tschuessicowsci!“ – „Tschuessicowsci! Salve ad Mandyam et ad Kevinum!“

Der Bus hält. Einer der beiden steigt ein und winkt dem anderen noch einmal kurz, bevor er um die Ecke verschwindet. Vor Aufregung habe ich selber vergessen, mitzufahren. Neugierig spreche ich den Zurückgeblieben an, der übrigens trotz des kalten Wetters eine Toga und Sandalen trägt: „Entschuldige bitte: Du hast doch eben Latein gesprochen? Das habe ich ja ewig nicht mehr gehört!“

„Häää?“, fragt der mutmaßliche lateinische Tourist. „Quod? Halloo? Cui bono?“ Er scheint weder Deutsch noch Englisch zu sprechen. Sicher ein Billigflieger, der in einem jener zahlreichen Hostels in der Schlesischen Straße wohnt. „Romanus es?“, kratze ich den kläglichen Rest dessen zusammen, was mir vor über dreißig Jahren die alte Rieder eingebläut hatte, „die Hexe“, wie wir sie nannten, oder auch „Kröta“. Wir hatten uns sogar kleine gelbe Buttons gebastelt mit ihrem karikierten Konterfei und der Aufschrift „Kröta – Nein danke!“ Meine Güte, was waren wir damals subversiv!

„Sic!“ Er scheint einigermaßen überrascht zu sein, dass endlich mal jemand erkennt, woher er kommt – summa cum laude. Radebrechend unterhalten wir uns. Die meisten, so erfahre ich dabei, hielten ihn immer für einen Altgriechen, wenige andere für einen Kelten. Und er sei es langsam leid, mit verballhornten Sätzen wie „Taverna Dimokritos, römpömpömpöm“ auf die Schippe genommen zu werden. Die Berliner seien ja leider dermaßen rassistisch. „Sunt“, stimme ich ihm traurig zu.

ULI HANNEMANN