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LITERATUR Dichterduell – Bas Boettcher und Serhij Zhadan verteidigen wortgewaltig die „Bastion der Aufrechten“ im Kaffee Burger

Sie seien zwei, „die nah dran sind am Lebensgefühl ihrer Generation“, sagt Katharina Narbutovic. Dann schickt die Leiterin des Berliner Künstlerprogramms des Deutschen Akademischen Austausch Dienstes Bas Boettcher und Serhij Zhadan am späten Dienstagabend zum poetischen Wettstreit auf die Bühne. Narbutovic hat den Abend gemeinsam mit dem Suhrkamp Verlag, der die Werke Zhadans seit Jahren verlegt, und dem Kaffee Burger organisiert. Der Ukrainer war 2010 Gast des Berliner Künstlerprogramms, der Abend ist eine Art Abschlussveranstaltung.

Katharina Narbutovic wird nach einer guten Stunde verbalen Spektakels den Kontrahenten zufrieden bescheinigen, „gleichwertige Partner“ gewesen zu sein. Das zahlreich erschienene Publikum hat das genauso gesehen. Doch der Vergleich hinkt ein wenig, denn der Poetry-Slam-Veteran Bas Boettcher bleibt im eigenen fulminant intonierten Phrasengewitter eher blass.

Fraglos beherrscht der Wahlberliner sein sprachliches Handwerk; es gelingen ihm bemerkenswerte Ausflüge auf die kleinsten Lautebenen seiner mitunter amüsanten Reime, getreu dem Motto: „Dann spielt meine Sprache mit mir.“ Aber zwischen versuchter Konsum- und Medienkritik, zwischen dem „Breitband der Glasfaser“ und „Sprechblasen wie Pustefix“ kann man sich der Frage nicht erwehren, was Boettcher denn eigentlich erzählen möchte zwischen den Rapkaskaden aus verspielten Betonungsspektren. Sätze wie „manchmal lauf ich Gefahr, aber wenigstens lauf ich“ gehen schnell in Boettchers onomatopoetischer Hektik unter. Zu viel zielt auf die stilistisch gelungen verpackte Pointe.

Die Lyrik des unscheinbar wirkenden Serhij Zhadan hingegen verhandelt ästhetisch virtuos und äußerst kraftvoll das Siechtum der eigenen Generation in der Ukraine der Post-Sowjet-Ära. Zhadan hat einiges zu sagen und seine epischen Gedichte weisen Brüche auf, die dem Zuhörer den Zerfall der traditionellen Gesellschaft seines Heimatlandes bestechend lakonisch offenbaren. Und Zhadan liest auf Ukrainisch, simultan auf eine Projektionsfläche an der Wand übersetzt.

Seine Verse sind ebenso dunkel wie anarchisch, widerspenstig wie brillant: „Es gibt so viele unbefleckte Seelen / so viele unbeugsame Protestanten, / so viele ungeklaute Handys auf der Welt, / du brauchst dieses Leben bloß / auseinanderzuziehen.“ Doch drängen die Zeilen Zhadans immer wieder auf ein plastisches, wahrnehmungsreiches Bild, in dem sich existenzielle Details genauso finden wie derber, zynischer Realismus, ob es nun um „trostlose Zombies“, die „nagelneuen, kaum gebrauchten polnischen Kondome“ oder „Lukoils strahlendes Walhall“ geht. Es sind lyrische Reportagen zwischen Hymne und Elegie, prosaisch eingefärbt, die Serhij Zhadan wuchtig ins Publikum schleudert.

Überraschend ist der überzeugende Auftritt von Zhadan nicht, er gilt in seinem Land längst als wegweisende literarische Stimme. Der promovierte Germanist – wie Bas Boettcher Jg. 1974 – galt dort schon früh als „ukrainischer Rimbaud“. Neben zahlreichen Gedichtbänden ist 2007 sein erster Roman „Depeche Mode“ auf Deutsch erschienen. Ende Januar 2011 folgte der Episodenband „Hymne der demokratischen Jugend“ im Suhrkamp Verlag. Der ukrainische Schriftsteller Juri Andruchowytsch schrieb vor einigen Jahren treffend über die Poesie von Serhij Zhadan: „Es ist wirklich genau das alternative Kino und auch die alternative Musik und das alternative Theater, das uns fehlt. Und überhaupt ist es eine Alternative zu allem, was traditionell als ukrainisch gilt.“ JAN SCHEPER