Fragen heutiger Zweisamkeit

THEATER Das Performance-Kollektiv Turbo Pascal betreibt auf den Spuren des legendären Paares Marina Abramovic und Ulay im HAU 1 Beziehungsarbeit: „Zwei – eine Ritualschlacht“

Wie soll denn das Zweiertum aussehen? Spannend, aber nicht gefährlich, mit großen Gefühlen, die aber nicht überwältigend sein sollen. Tja!

VON ANNE PETER

Sie ohrfeigten sich gegenseitig bis zur Erschöpfung. Sie ließen ihre nackten Körper aneinanderprallen. Sie verharrten 16 Stunden Rücken an Rücken, während ihre Haare zu einem Zopf verflochten waren. Sie stellten sich nackt an die Seiten des Museumseingangs, so dass jeder Besucher sich durch die schmale Lücke zwischen ihnen zwängen musste. Sie balancierten einen Spiegel zwischen ihren Gesichtern. Sie liefen 90 Tage von den beiden Enden der Chinesischen Mauer aufeinander zu und trafen sich – um sich danach zu trennen. Zwölf Jahre waren Marina Abramovic und Ulay so etwas wie das Traumpaar der Kunstszene. Für „Nightsea Crossing“ saßen sie sich acht Stunden lang schweigend und bewegungslos an einem Tisch gegenüber. Solange das Museum geöffnet hatte, neunzig Tage lang.

Bei dem Performance-Kollektiv Turbo Pascal dauert die Szene nicht ganz so lang. Doch während die Zuschauer ihre Plätze einnehmen, herrscht auch zwischen Livia Schoeler und Frank Oberhäußer nur ein stummer Blick über den langen Tisch hinweg. Dann kommen Eva Plischke, Veit Merkle und der Musiker Friedrich Greiling dazu und schauen den Kollegen auf der kreisrund-weißen Versuchsfläche schmunzelnd zu. „Das wird doch irgendwie auch langweilig“, sagt Oberhäußer irgendwann.

Und dann entspinnt sich mit „Zwei – eine Ritualschlacht“ auf der Hinterbühne des HAU 1 eine feine, leichthändige und wunderbar unangestrengte Gedankensammel-Performance über Fragen heutiger Zweisamkeit. Die legendären „Relation Works“ von Abramovic/Ulay, die Anziehung und Kampf der Geschlechter in so einfache wie triftige Bilder fassten, dienen dem Achtzigminüter als Sprungbrett, um über Formen und Rituale von Beziehungen nachzudenken. Man denke sich das „Nightsea Crossing“ anhand folgender Foto-Schautafeln einmal anders: Sonnenuntergang, Strand, ein Paar spaziert händchenhaltend, „meistens performen die abends“. Zwei Frauen in Hochzeitskleidern ergeben eine „Durational Performance“. Sich bei Kerzenschein zuprosten, während man den Kellner herumscheucht – „Instruction Art“. Ja, eine Beziehung will gestaltet werden, die Liebe ist eine Kunst. Die lockere Dekonstruktion romantischer Klischees nimmt sympathischerweise gleichzeitig die allseits Theater witternde Performance-Szene und damit auch sich selbst aufs Korn.

Turbo Pascal, die sich 2004 bei den Angewandten Kulturwissenschaften in Hildesheim zusammengefunden haben, wissen um die unerreichbare Größe ihrer Vorbilder Abramovic/Ulay und versuchen gar nicht erst, deren heiligem Ernst nachzueifern. Sie begnügen sich mit der komischen Kopie. Nein, eigentlich haben sie keine Lust, sich den Mund zuzunähen und den anderen für sich sprechen zu lassen. Es bleibt beim leichten Pikser in die Unterlippe (einem Zuschauer wird trotzdem übel).

Sie balancieren symbolträchtig Reissäcke zwischen ihren Stirnen und zerdrücken Luftballons in urkomischen Umarmungs- und Kopulationsversuchen. Beziehungsintensitätskurven, den Grad der Treue oder der Gefühle für den Expartner zeigen sie in kollektiver Blitzumfrage mittels Ballongrößen an. Greiling macht aus Abramovic/Ulay am Keyboard melancholischen Kitsch: „Du atmest in mich, ich atme in dich – sonst nichts“, und Oberhäußer singt mit Mikrofon-verzerrter Stimme von den kleinen Alltagsenttäuschungen: „Ich hab uns einen Rooibusch-Tee gekocht, der ist jetzt kalt.“ Sätze, die ein ganzes kleines Drama enthalten – so was gelingt hier immer wieder.

Turbo Pascal überzeugen, weil sie ohne Angst vor Banalität von den eigenen Fragen ausgehen und dabei nicht so tun, als wüssten sie irgendetwas besser oder wären die ersten, die landläufige Liebesmodelle hinterfragten. Vielmehr zeigen sie, wie schwer sich zweisame Zwischenmenschlichkeit jenseits spießiger Konvention und zwanghafter Individualitäts-Ideologie denken, geschweige denn praktizieren lässt. Wie soll denn das Zweiertum aussehen? Langfristig, aber nicht langweilig, spannend, aber nicht gefährlich, mit großen Gefühlen, die aber bitteschön nicht überwältigend sein sollen. Tja.

Das Publikum, das Turbo Pascal in seinen interaktiven Arbeiten sonst gern zum Koautor macht, wird diesmal nur sanft einbezogen. Am Ende sind wir es, denen sich die Performer frontal gegenübersetzen. Wir sind jetzt Teil der Paarbeziehung, mit uns wird Schluss gemacht, wir sind die Adressaten von Liebeserklärungen. Die Verführungskraft der Abziehbildchen, die Sehnsucht nach dem Ritual wird nicht geleugnet. „Ich würde gern mal diese ganze Grammatik machen, die’s so gibt“, sagt Eva Plischke am Ende. Zu dem Wellness-Wochenende würden wir glatt mitfahren.

■ Nächste Aufführungen: Noch heute, 2. 4., 19.30 Uhr, HAU 1