Die Geschichte der Bremer Hochschule für Künste: "Aus dem Urgrund"

Die Bremer Hochschule für Künste entdeckt ihre Vorgeschichte: Sie wurde 1934 mit dem Auftrag gegründet, "die blaue Blume eines neuen nordischen Stils zu finden". Für mindestens einen ihrer Studenten endete dieser Versuch tödlich.

Die "Nordische Kunsthochschule" wollte aus dem "Urgrund deutsch-nordischen Volkstums" schöpfen: Malerklasse um 1935. Bild: R. Stickelmann/Staatsarchiv

BREMEN taz | Versunken sitzen zwei junge Frauen über einem riesigen Wandteppich. Die eine webt mit dickem Faden eine Hakenkreuzfahne ein, die andere arbeitet konzentriert an einer schier endlosen Reihe von Soldaten. Ihren Kommilitonen Kurt Elvers werden die beiden vermutlich gekannt haben - allzu groß war die Nordische Kunsthochschule in Bremen, in der das Foto von der Fertigung des propagandistisch hochwertigen Wandteppichs entstand, mit knapp 100 Studierenden nicht.

Umso ambitionierter war ihr Anspruch - "die blaue Blume eines neuen nordischen Stils" zu finden. Weil Kurt Elvers im Februar 1945 in Hamburg erschossen wurde, rückt jetzt auch die Geschichte der Kunsthochschule langsam in den Fokus.

Bis vor Kurzem kümmerte sich niemand um diese Einrichtung, immerhin eine direkte Vorgänger-Institution der heutigen Bremer Hochschule für Künste (HfK). "Konzerne wie die Deutsche Bank oder Daimler Benz haben sich längst mit ihrer braunen Vergangenheit auseinandergesetzt", sagt Manfred Cordes, der derzeitige HfK-Rektor. "Nur die sonst so kritischen Künstler zogen es erstaunlicherweise vor, diese Frage 65 Jahre lang komplett zu ignorieren."

Dass der Rektor diesen Zustand nun entschlossen ändern will, ist Hans Hesse zu verdanken: Der Kölner Historiker promovierte über Entnazifizierungsverfahren in Bremen, deckte hanebüchene Fälle auf wie den einer Biologie-Lehrerin, die noch Jahrzehnte nach dem Krieg völlig unbehelligt an einem Bremer Gymnasium unterrichtete, obwohl sie in Auschwitz Experimente an Häftlings-Augen ausführen ließ - und stieß vor einiger Zeit auf die Akten jenes Kurt Elvers.

Der Student wurde in Hamburg-Höltigbaum hingerichtet, weil er nach dem Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 gesagt haben soll: "Schade, dass es nicht geklappt hat." Ein Kommilitone von der Nordischen Kunsthochschule denunzierte ihn, ohne nach dem Krieg dafür wirksam zur Rechenschaft gezogen zu werden.

Hesse ließ diese Geschichte nicht los. Nach mehreren Anläufen fand er Elvers Grab in Hamburg-Ohlsdorf, das wegen Ablauf der Ruhezeit kurz vor seiner Einebnung steht - und er begann sich zu fragen, was es mit der Institution Nordische Kunsthochschule (NKH) insgesamt auf sich hatte. Er recherchierte und stieß bei Cordes, dem derzeitigen Rektor der HfK, auf offene Ohren. Denn: Über beide Vorgänger-Institutionen der HfK, Nordische Kunsthochschule und Nordische Musikschule, sagt Cordes, "existiert keinerlei wissenschaftliche Literatur".

Dabei scheint die Nordische Kunsthochschule so etwas wie ein "Modellprojekt" gewesen zu sein - jedenfalls in den Augen ihrer Protagonisten. "Zum ersten Mal in der Geschichte der Kunst wird hier der nordische Gedanke bewusst und ausgesprochen zum Leitgedanken einer Kunsthochschule gemacht", erklärte Bildungssenator Richard von Hoff bei der Eröffnung 1934 - nachzulesen unter anderem in der von von Hoff selbst herausgegebenen Monatsschrift Rasse.

Zwar wolle die neue Institution "ihren Schwestern im Reich nicht das Daseinsrecht streitig machen". Aber im Gegensatz zu den traditionellen Ausbildungsstätten, die an "ihre Überlieferung gebunden" seien, könne die neue Institution "aus dem Urgrund deutsch-nordischen Volkstums" schöpfen und einen "rassisch beseelten" neuen Kunstbegriff schaffen.

In der Tat stellt die NKH die einzige Neugründung einer Kunsthochschule in der NS-Zeit dar. Allerdings darf nach bisherigem Kenntnisstand bezweifelt werden, dass von Hoffs Auftrag, für "die Auflebung des gotischen Geistes in der deutschen Kunst" zu sorgen, in Bremen allzu produktiv umgesetzt wurde: Die Professoren scheinen einen nicht unerheblichen Teil ihrer Arbeitskraft in wechselseitige Denunziationen investiert zu haben.

Das hing auch mit ihrer unterschiedlichen Patronage zusammen: Während sich Eduard Scotland, der auch beim Bau der berühmten Bremer Böttcherstraße eine große Rolle spielte, als "Gauarchitekt" abgesichert hatte, nutzte der Grafiker Ottomar Anton seine Verbindungen nach Berlin, wo er als künstlerischer Berater des SS-Hauptamtes firmierte.

Bildhauer Ernst Gorsemann wiederum rühmte sich der direkten Freundschaft mit dem Gauleiter und Direktor Carl Horn war in zweiter Ehe mit der Schwiegermutter von Rudolf Hess verheiratet, dem "Stellvertreter des Führers". Selbst solche Weitläufigkeiten konnten im "Dritten Reich" eine erhebliche Rolle spielen.

Als Horn wegen eines "wehrkraftzersetzenden" Witzes vom Leiter der Malerei-Abteilung denunziert wurde, kostete ihn das jedenfalls "nur" den Direktorenposten - nach immerhin fast acht Jahren im Amt. Den Gründungsrektor der Hochschule, den berühmten Worpsweder Maler Fritz Mackensen, hatte man schon nach sieben Monaten wieder zurück ins Teufelsmoor geschickt.

Horn revanchierte sich im Übrigen mit der Beschuldigung, Gorsemann sei Freimaurer. Einer von Horns Studenten, der diesem gegenüber den Hitler-Gruß verweigert hatte, musste sieben Jahre ins KZ.

Wie viel Kunst - und welche - wurde unter diesen Umständen tatsächlich produziert? Diese Frage muss noch untersucht werden. Beim Durchblättern der seinerzeitigen Senatsprotokolle kann man zwar feststellen, dass die NKH dort relativ regelmäßig auftaucht - sie lieferte Entwürfe für das geplante FJ-Heim in Bremen-Farge oder wurde beauftragt, Vorschläge für "ein künstlerisch besonders wertvolles Geschenk" der Stadt zu Hitlers 50. Geburtstag zu unterbreiten. Wie allerdings der schulische Alltag aussah und ob eine wie auch immer geartete spezifische Ästhetik entwickelt wurde, ist unklar.

Immerhin existiert im Bremer Staatsarchiv eine kleine Charge mit Fotos aus den Ateliers der NKH. Man sieht einen halbnackten alten Mann, dem Anschein nach ein Landarbeiter, der von Studentinnen mit Porträtblocks in der Hand umringt wird.

In der Architektur-Abteilung ist zu beobachten, wie sich Studenten beim Entwurf eines groß angelegten "Oberneuländer Erbhofes" austoben. Andere begutachten gegenseitig ihre gepunzten Werkstücke aus Kupfer, die so aussehen, wie man sich ein germanisches Tisch-Service vorstellt. Aber auch freizügige Aktmalerei und durchaus moderne Mode ist zu sehen: elegante, figurbetonte Kostüme, stolz präsentiert von ihren Designerinnen.

Kurt Elvers studierte Malerei. Die wenigen bekannten dort produzierte Werke zeigen musizierende HJ-Scharen und bäuerliche Gesichter, vieles ist in einem naivem Realismus ausgeführt. Von beispielsweise futuristischen Ansätzen, wie sie etwa Teile der Kunstproduktion des italienischen Faschismus kennzeichen, ist nichts zu erkennen.

Auch ein nazistisch infizierter norddeutscher Expressionismus scheint es nicht bis in die NKH geschafft zu haben - jedenfalls nicht in dessen offizielle Außendarstellung. Auf einem der Fotos kann man Rudolf Hess ausmachen, der in der Grafik-Abteilung gerade eine Staffelei mit wuchtig-gotisierenden Lettern inspiziert.

Wie der Bremer "Modellversuch" reichsweit rezipiert wurde, ist dennoch nur in Ansätzen zu ahnen - offenbar nicht allzu positiv. Der "Führer" jedenfalls soll sich gegen die zunächst geplante Benennung in "Nordische Kunsthochschule Adolf Hitler" verwahrt haben.

Die historische Verbindung zwischen NKH und der heutigen HfK ist nicht von der Hand zu weisen: 1946 wurde der Lehrbetrieb im selben Gebäude wieder aufgenommen. Willy Menz, der erste Nachkriegs-Direktor, hatte auch dem Lehrkörper der Vorgängerinstitution angehört. Selbst das 1970 wieder eingeführte "hoch" im Schulnamen, die akademischen Weihen also, erbte die HfK sozusagen von der "Nordischen Kunsthochschule" - vor dieser hatte in Bremen lediglich eine Kunstgewerbeschule existiert.

Auch der heutige Fächerkanon der HfK, unter anderem mit den Studiengängen Bildhauerei, Malerei und Mode, findet sich bereits im "Dritten Reich" - freilich ergänzt um das Fach "nationalpolitische Erziehung". Wer sich früher nach der NKH erkundigte, wurde mit Verweis auf eine vermeintlich spärliche Quellenlage abgespeist. Doch allein im Bremer Staatsarchiv existieren fast 400 thematisch relevante Aktenpositionen.

"Nach dem Krieg sprachen wir zwar von der Nordischen Kunsthochschule", sagt Hermann Jacobs, der ab 1946 in Bremen Kunst studierte. "Aber eigentlich wollten wir nur weg von der schlimmen Vergangenheit und uns mit internationaler Kunst beschäftigen." Zur Beschäftigung mit der eigenen Geschichte bedurfte es "des Anstoßes von Außen", gibt Rektor Cordes unumwunden mit Verweis auf Hans Hesse zu, den er kürzlich zu einem kleinen Symposium einlud.

Bei der bald zusammen mit weiteren Institutionen wie dem Worpsweder Museumsverbund in Angriff genommenen Aufarbeitung der Geschichte könnten auch Zeitzeugen befragt werden - vereinzelte KommilitonInnen der Weberinnen des Propaganda-Teppichs sollen noch leben.

Hans Hesse: Bis zur Narbe. Eine Erzählung, 2011 herausgegeben von der Hochschule für Künste

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