Internet war gestern

POP Ein halbes Jahrhundert nach Trude Herr ist auch das Berliner Trio Laing morgens immer müde

Man schrieb das Jahr 1960, als die großartige Trude Herr ihren allergrößten Hit landete. „Ich will keine Schokolade“, sang sie damals, und ihre herbe Stimme knurrte, „ich will lieber einen Mann“. Kurz darauf versuchte die kräftig gebaute Frau mit dem nicht jugendfreien Organ nachzulegen, doch „Morgens bin ich immer müde“ war zwar ähnlich schlüpfrig, wurde aber lange nicht so erfolgreich.

Ein gutes halbes Jahrhundert später haben nun Laing den Schlager von damals, der längst ein Evergreen geworden ist, wieder ausgegraben. Doch anstatt ihn im damals üblichen Schmeichelsound zu rekonstruieren, versieht die Berliner Formation um die Sängerin, Texterin und Komponistin Nicola Rost das Lied mit einer zeitgemäßen Electro-Ausstattung. Allerdings: Zeitgemäß heißt heutzutage, das Klangdesign der achtziger Jahre nachzuahmen. Also piepsen die Synthies und pluckert die Rhythmusmaschine, dass man Angst haben muss, dass demnächst die Mauer wieder hochgezogen wird.

Das Prinzip von Laing lässt sich so umreißen: fünf Schritte nach hinten, dann wieder drei zurück, und irgendwie kommen wir dann doch wieder an in der Jetztzeit. Nachzuhören ist das nach vielen Liveauftritten in den letzten vier Jahren nun erstmals auf Konserve. Ihr Debüt, ein Minialbum mit dem Titel „030/577 07 886“ erscheint dieser Tage. Und ja, man kann die Nummer anrufen, um von einer Maschinenstimme zu erfahren: „Internet war gestern“.

Die Telefonansage gehört zum Gesamtkonzept. Denn das geht durchaus hinaus über die Musik. Laing spielen sehr selbstbewusst mit verschiedenen Motiven aus der Popgeschichte. Rost und ihre beiden Backgroundsängerinnen erinnern nicht nur rein zahlenmäßig und bestimmt nicht zufällig an klassische Girl Groups aus den Sechzigern wie The Supremes, auch wenn ihr Soul mit voller Absicht seltsam steril bleibt.

Auf der Bühne wird das singende Trio von einer Tänzerin und einem Schlagzeuger unterstützt. Die mit Requisiten ausgestatteten Schauspieleinlagen künden ebenso von einem Willen zum Gesamtkunstwerk wie die beständig wechselnden, aber einheitlichen Kostüme. Auch die beziehen sich, mal eher bunt, mal in hübscher Schwarzweiß-Ästhetik, aber stets geprägt von schlichter Eleganz, schon wieder auf die achtziger Jahre.

Dort bedienen sich Laing, auch wenn sie ansonsten anspielungsreich quer durch die Jahrzehnte surfen, schließlich musikalisch am ausgiebigsten. Der Synthie-Pop jenes Jahrzehnts, vor allem der von Human League oder Yazoo, ist überdeutlich auf den nur sechs Songs von „030/577 07 886“ zu hören, in denen in eher anspruchslosen Reimen das alltägliche Liebesleben des modernen Großstadtmenschen ironisch aufgearbeitet wird.

Die spartanische Eleganz der Klänge aus den Vintage-Synthesizern ist so überzeugend, dass Laing dem Vernehmen nach gerade mit großen Plattenfirmen in Verhandlungen stehen. Doch Rost und ihre Mitstreiterinnen konterkarieren diese Gefälligkeiten nicht nur in einem Song wie „Neue Liebe“ regelmäßig mit einer von Ideal oder den Neonbabies geklauten Rotzigkeit. Das bisschen Punk-Attitüde tut dem sonst zu zahnlosen Klangbild gut. So gelingt es ihnen sogar zu beweisen, dass „Alles nur geklaut“ von Die Prinzen gar kein so schlechter Song ist. So, wie ihn Laing interpretieren, könnte man tatsächlich meinen, der wäre im Original von Trude Herr.

THOMAS WINKLER

■ Laing: „030/577 07 886“ (The Music Agents/Soulfood); live: Volksbühne, 7. Mai, 22 Uhr