Stolperdrähte für Pfundskerle

DIALOGWITZ Roddy Doyle erzählt zum Glück nicht nur lehrreich, sondern auch lustig über den Alltag eines Einwandererlandes: „Typisch irisch“

Jimmy Rabbitte, der mit den Worten hakenschlagende Held in Roddy Doyles Bestseller „The Commitments“, brachte das Selbstverständnis Irlands noch Mitte der achtziger Jahre sentenzhaft auf den Punkt: „Die Iren sind die Nigger Europas.“ Aber dann erwachte eine Dekade später der „Keltische Tiger“. Das Wirtschaftswunder schenkte Irland, das seine Bürger lange Zeit gar nicht schnell genug verlassen konnten, nicht nur enorme Prosperität (bis zur Finanzkrise), sondern widmete es auch zu einem attraktiven Ziel für Einwanderer um. Vor allem Migranten aus Afrika und Osteuropa kamen hierher, um ein Stück abzubekommen vom fetten irischen Cheddar.

Dass Migrationsbewegungen in einer solchen Größenordnung nie ohne Reibungsverluste abgehen, das ist die sozialhistorische Ausgangsposition und davon zeugen diese Erzählungen, die Roddy Doyle zunächst monatlich im Metro Éireann veröffentlichen ließ, einer von zwei nigerianischen Journalisten herausgegebenen Multikultizeitschrift. Ihr Publikationsort ist den Texten eingeschrieben. Es sind Fortsetzungsgeschichten, Reihungen kurzer Alltagsszenen, die nicht immer ein geschlossenes Ganzes ergeben.

Ein bisschen zu lernwillig

„Ich habe mal was über einen Mann aus einer amerikanischen Nachmittags-Fernsehsoap gelesen, der nach oben ging, um seinen Tennisschläger zu holen und nicht mehr herunterkam. Niemand vermisste ihn, niemand fragte nach ihm, das Leben ging weiter. Bei den Geschichten in diesem Buch geht es manchmal zu wie in dieser Tennisschläger-Geschichte. Figuren verschwinden, weil ich sie vergessen habe. Fragen werden gestellt und manchmal nicht beantwortet“, räumt Doyle im Vorwort ein. Man merkt, wie der Autor sich hier von Folge zu Folge hangelt. Und so sind die einzelnen drehbuchartigen Skizzen, in denen Doyle seinen in der Barrytown-Trilogie („The Commitments“, „Fish & Ships“, „The Snapper“) erprobten treffsicheren Dialogwitz ausspielen kann, meistens besser als die Story selbst.

Aber das macht nichts, denn es geht Doyle vor allem um eine auf das Situative und auf eine gewisse Bandbreite abzielende Darstellung des irischen Alltags von und mit Immigranten: um die latenten Vorurteile der Einheimischen, deren Existenz noch das Verhalten derjenigen beeinflusst, die sich bewusst davon absetzen wollen, um die freundlich-impertinenten Zudringlichkeiten der Gutmenschen, Machtdemonstrationen Böswilliger, aber auch um Sprachschwierigkeiten, ein Gefühl des Fremdseins und der existenziellen Unsicherheit – die ganze Palette der Assimilationsschwierigkeiten also, auf beiden Seiten.

Doyle stellt genügend Stolperdrähte auf, über die seine fast immer liebenswerten Pfundskerle straucheln können, um sich dann doch, kurz bevor sie lang hinschlagen, noch einmal zu fangen. Meistens stützt sie dabei eine dieser seelenvollen, dennoch grandios pragmatischen Heroinen, die man so häufig wohl auch nur in der Doyle’schen Sagenwelt antrifft.

In der ersten Erzählung etwa konfrontiert der Autor den gutmütigen, philanthropischen, archetypischen Paddy mit seiner für ihn selbst ungeahnten Fremdenfeindlichkeit. Eine seiner geliebten Töchter möchte ihren schwarzen Freund zum Essen mit nach Hause bringen. Missverständnisse auf beiden Seiten sprengen mehrmals fast die Tischgesellschaft, am Ende rettet der Schokoladenpudding der Matriarchin Mona die Situation. Und als Larry den Gast zur Tür bringt, bedauert er fast, dass er nur ein guter Freund der Tochter ist, ein weiteres Missverständnis, und nicht der Schwiegersohn in spe. Man sollte „Rate mal, wer zum Essen kommt“ bald verfilmen und alljährlich zu Silvester zeigen.

„Typisch irisch“ versammelt exemplarische Geschichten, die ihren pädagogischen Impetus nicht ganz verleugnen können, auch wenn Doyle gewieft genug ist, ihn nicht allzu penetrant rauszukehren. Die migrantischen Helden sind meistens ein bisschen zu ehrenwert, die Iren ein bisschen zu lernwillig, die Dialoge ein bisschen zu witzig und die Probleme am Ende ein bisschen zu sehr gelöst. Wie sich das für gute Komödien eben gehört. FRANK SCHÄFER

Roddy Doyle: „Typisch irisch“. Aus dem Englischen von Renate Orth-Guttmann. Hanser, München 2011, 287 Seiten, 19,90 Euro