Wunder oder Psychose

ROADMOVIE In dem Spielfilm „Der Mann, der über Autos sprang“ von Nick Baker Monteys spielt Robert Stadlober einen Auto-Abstinenten in Deutschland. Der Film wurde lange vor dem Unfall bei „Wetten, dass...?“ gedreht

Robert Stadlober gibt der Figur, die entweder ein Psychotiker ist oder Wunder wirken kann, ein Strahlen, das immer ambivalent schillert. Monteys ist es gelungen, den „Zauberer von Oz“ (in dem es auch drei Gefährten gibt, die glauben, jeweils kein Herz, keinen Mut und kein Hirn zu haben) nach Deutschland zu verpflanzen

VON WILFRIED HIPPEN

Werner Herzog wanderte einst von München nach Paris, weil er dadurch der sterbenskranken Filmhistorikerin Lotte Eisner Lebenskraft geben wollte. Julian, der Protagonist dieses Filmes, macht einen ähnlichen Fußmarsch durch Deutschland, um zu verhindern, dass der Vater eines Freundes an einem Herzinfarkt stirbt. So wie er an die Allmacht des Geistes glaubt, ist auch dieser Film nicht ganz von dieser Welt.

Durch kleingeistige Plausibilitäten wie jene, dass es bei der Arbeitsüberlastung der deutschen Polizei völlig utopisch wäre, wenn ein Kripobeamter wochenlang hinter einem aus einer Anstalt Ausgebrochenen herfahren würde, lässt sich Regisseur Nick Baker Monteys nicht in seiner Fantasie beschränken. Sein Film ist voller seltsamer Begegnungen und Geschehnisse, die einer eher märchenhaften Logik folgen. So scheint Julian magische Kräfte zu haben, die auf jene, die ihm begegnen eine magnetische Wirkung haben. Während er seiner mythisch, spirituellen Mission folgt, sind seine Gefährten ganz im Hier und Jetzt des Lebens in der Bundesrepublik verhaftet. Die Assistenzärztin, die mit den psychischen Belastungen ihres Berufs nicht fertig wird, die von Mann und Kindern schlecht behandelte Ehefrau und der cholerische und selbstzerstörerische Polizist – sie alle folgen Julian bei seiner Reise und verändern sich dabei. Die Diskrepanz zwischen ihren alltäglichen und psychologisch gut motivierten Konflikten und Julians viel umfassenderer Vision erzeugt eine Reibung, die oft zu einer wunderbaren Situationskomik führt, aber auch überraschende dramaturgische Wendungen ermöglicht.

Geschickt wird auch immer wieder mit dem Gegensatz zwischen Julian und den Automobilen gearbeitet. Seine drei Jünger verlassen für ihn ihre Autos, er selber fährt keinen Meter, nutzt aber durchaus den Mercedes von Jan, um sich darin aufzuwärmen. Schließlich kommt es zum alles entscheidenden Sprung, durch den sich letztlich nichts Geringeres entscheidet als die Frage, ob der Geist die Materie beherrschen kann.

Monteys erzählt hier eine ungewöhnliche und originelle Geschichte, in deren Zentrum das Geheimnis um Julian liegt. Kann er Wunder wirken oder ist er ein Psychotiker? Robert Stadlober verkörpert diese Figur sehr intensiv und überzeugend, indem er ihm ein Strahlen gibt, das immer ambivalent schillert. Monteys ist es gelungen, die „yellow brick road“ aus „Der Zauberer von Oz“ (in dem es auch drei Gefährten gibt, die glauben, jeweils kein Herz, keinen Mut und kein Hirn zu haben) nach Deutschland zu verpflanzen.

Der Film wurde übrigens lange vor dem Unfall von Samuel Koch gedreht, der in der Fernsehsendung „Wetten, dass...?“ bei dem Versuch schwer verletzt wurde, über ein fahrendes Auto zu springen. Aber die Produktion von 2010 kommt wohl erst jetzt in die Kinos, weil vorher die Assoziation zu makaber schien.