Kreuzberg, meine Liebe

HIPHOP Was kommt nach dem Abitur? Wenn Niksn, Eytsch und Kontra ihre Zukunft planen, spielt der HipHop eine Rolle, mindestens so groß wie die anvisierte eigene Wohnung

„Junkies bleiben! Yuppies vertreiben!“, heißt es auf dem Pappschild, das Niksn in die Kamera hält

VON KARIN FLOTHMANN

Die Beats sind eingängig. „Politik und Wahnsinn, macht mich rasend!“ Niksn rapt. In seinem Video fahren Polizeiwannen vor. Das letzte besetzte Haus Berlins wird geräumt. Jugendliche protestieren lautstark. Polizisten in Kampfmontur marschieren auf. „Junkies bleiben! Yuppies vertreiben!“, heißt es auf dem Pappschild, das Niksn in die Kamera hält. Sein Kopf umwickelt mit wilden Rastalocken. Die hat er sich extra für den Track zugelegt.

Niksn ist 19 Jahre alt und heißt in Wirklichkeit Niklas Peters. Im echten Leben trägt er das Haar raspelkurz und steckt mitten im Abi. Morgens, bevor er zur Schule geht, rappt er seit Jahren seiner Mutter die neusten Zeilen vor, die nachts entstanden sind. Auch den Yuppie-Song hat er selbst getextet. Das Video zum Track hat er gefilmt und es anschließend am PC in mühevoller Kleinarbeit geschnitten. Seit ein paar Wochen ist es bei You Tube online. Niksn rappt nicht allein. Immer wieder sind auch Eytsch und Kontra auf seinen Tracks zu hören. Eytsch (20), der normalerweise Hans heißt, hat im vergangenen Jahr zusammen mit Niklas ein HipHop-Statement zu Thilo Sarrazin herausgebracht. Denn dessen Thesen gingen beiden gehörig gegen den Strich. Der Rap schaffte es bis ins Abendprogramm des rbb – darauf sind beide heute noch stolz. Und mit Kontra (20), der auch den Namen Robin trägt, chillt Niklas in einem anderen Video gemeinsam, bevor sie auf den Dächern Berlins über das Leben rappen „Nichts erreicht“.

Gemeinsam ist allen drei Jungs, dass sie den HipHop lieben. „Ich glaube nicht, dass ich damit mal Geld verdiene“, sagt Niklas, „es geht mir um den Spaß. Und außerdem möchte ich, dass die Leute hören, was ich zu sagen habe.“ Und Kontra behauptet: „Ich liebe HipHop! Ich brauche HipHop! Ich bin HipHop!“ Die Songs beschreiben „schon unser Leben“, ergänzt Eytsch. „Aber jeder Track entsteht einfach aus einem Gefühl heraus. Wenn mich ein Thema mitreißt oder aufregt, dann ist HipHop mein Ventil!“

Und das wird auch so bleiben, auch wenn Hans ab Herbst vielleicht Social Business studieren will, wenn Kontra eine Ausbildung zum Mediengestalter oder Audio-Ingenieur machen und Niksn zur Schauspielschule gehen will. Die Zukunft ist für alle drei noch nicht genau fassbar, aber eins ist allen klar: „Ich will Spaß am Leben haben, und ich hoffe, dass ich meine Lebensfreude nicht verliere“, sagt Robin. Und Hans ergänzt: „Mir ist es wichtig, eine eigene Leidenschaft zu finden und sie frei auszuleben – auch zusammen mit meiner Familie und den Freunden.“ Robin kann sich sein weiteres Leben in groben Zügen schon vorstellen: „Ich will immer mit gutem Gewissen einschlafen können. Ich will Risikos eingehen und dabei auch mal gehörig auf die Schnauze fliegen. Danach will ich wieder aufstehen und das gleiche Risiko nochmal eingehen. Ich will keine Angst haben. Ich will fröhlich sein. Ich will ein Leben mit all seinen Höhen und Tiefen haben, und ich will mit 80 zurückschauen und dann genüsslich grinsen!“ Bis vor kurzem war er für einige Monate in Australien. Dort hat er ein Album zusammengestellt, das soll bald rauskommen. „Fahrtwind“ nennt Kontra seine elf Songs. „Die geben die Zeit in Australien mit all ihren Facetten und unseren Gefühlen tagebuchartig wieder“, erzählt er. Als er Hans in Down under traf, hat der bei zwei Titeln mitgerappt. Hans alias Eytsch reist zurzeit noch immer durch den fünften Kontinent. Abi und Zivildienst liegen hinter ihm. Wie die beiden anderen lebt er noch bei seinen Eltern in Kreuzberg. „Aber wenn ich im Herbst zurückkomme, ziehe ich aus.“ Ob er dann eine günstige Bleibe in Kreuzberg finden wird, steht noch in den Sternen.

Denn: „Ich laufe durch die Straßen, durch mein’ Kiez, Kreuzberg, meine Liebe, doch find ich langsam andere Ziele, weil yeah ohne uns hier nur noch Yuppies, Yuppies wärn.“ In Niklas Yuppie-Song dreht sich alles um die immer teurer werdenden Mieten im Kiez, um die Yuppies, die sich diese Mieten leisten können, um die Bars und Designer, die inzwischen an jeder Ecke zu finden sind, und um die Wut, die ihn packt, wenn er sieht, wie sein Kiez vor die Hunde geht.

Auch Niklas will nach dem Abi zu Hause ausziehen. Und er möchte in seinem Kiez bleiben. „Was heute in Berlin passiert, gab’s schon in London, Paris oder New York“, meint der 19-Jährige. „Ich finde, gerade diese Mischung von Arm und Reich ist doch toll in Kreuzberg. Wenn das so weiter geht, werden die sozial Schwachen an den Rand der Stadt gedrängt.“ Niklas rümpft die Nase. „Das muss doch auch die linke Regierung sehen!“ Und die sollte gefälligst etwas dagegen tun.

Mit seinem Video möchte er zum Nachdenken anregen und etwas bewegen. „Es wäre doch geil, wenn mein Track mal in den Fernsehnachrichten laufen würde, das könnte doch eine echte Diskussion anstoßen“, denkt Niklas.

„Die Menschen sollten aufhören, sich über die Politik zu beschweren, und lieber selbst aktiv werden, so wie Niklas das mit yuppie, yuppie, yeah gemacht hat“, findet auch Eytsch. „Das ist mehr wert als diese alten Antifa-Phrasen, die du immer wieder in den Bars hörst.“ Robin alias Kontra kommentiert die Politlust seiner Freunde nur so: „Ich geb einen Fick auf Politik! Interessiert mich nicht! Sorry dafür, aber so ist das nun mal.“ Doch auch wenn das nun mal so ist, eigentlich findet er es auch ganz schön gut, was Niklas und Hans in ihren Raps so machen.

Gemeinsam wollen sich die drei Freunde, wenn Hans zurückkommt, in Kreuzberg ein Studio einrichten. „Jap!“, meint Robin: „Das Studio ist auf jeden Fall der nächste Schritt. Und dann geht’s los. Deutschland sollte sich besser impfen! Wir sind auf dem Weg!“