IN BERLIN SATTESSEN
: Gehaltskürzung

Die spanische Krise ist an einem Donnerstag bei mir angekommen

Im Briefkasten lag ein Brief aus Madrid. Der Direktor der Tageszeitung ABC teilte mir mit, dass das Unternehmen große Anstrengungen unternehme, um seine Stellung auf dem Markt zu behaupten. Ich habe für die Zeitung einmal einen Artikel geschrieben zu einem Mauerfalljubiläum. An die Höhe des Honorars kann ich mich nicht mehr erinnern, aber es war okay und wurde pünktlich gezahlt.

Doch damit ist jetzt wohl Schluss. Die Krise aus Spanien ist an einem Donnerstagvormittag bei mir in Friedrichshain angekommen. Der ABC-Direktor teilte mir mit, dass die Mitarbeiter der Zeitung sich einverstanden erklärt hätten, dass ihre Gehälter ab Juni um zehn Prozent gekürzt werden. Er appellierte an meine Solidarität und verlieh seiner Hoffnung Ausdruck, dass ich die Lohnreduzierung akzeptierte.

Ich war noch am Überlegen, ob ich ihm zurückschreiben soll, dass das absolut inakzeptabel sei, als ich an Chari und Vicente denken musste, ein Ehepaar im Vorruhestand aus Madrid, das mich vor wenigen Wochen besucht hat und ABC eher nicht liest. Wie immer hatten sie Olivenöl, Schinken und Käse mitgebracht. Es war ein unbeschwerter Besuch. Die Krise konnte uns mal, und von der Ehec-Gurkentruppe war noch keine Rede. An ihrem letzten Abend in Berlin wollten Chari und Vicente in das Altberliner Lokal „Zur letzten Instanz“ essen gehen, wo wir schon einmal waren.

Vicente freute sich wie Bolle, dass er dieses Mal auf der Sitzbank des historischen Kachelofens Platz nehmen durfte, auf die sich angeblich schon Napoleon Bonaparte gepflanzt hat. Zufrieden thronte er da und verspeiste genüsslich gebratene Kalbsleber „Altberliner Art“. Jetzt glaube ich, dass er und seine Frau sich vor ihrem Rückflug noch einmal richtig satt essen wollten, zumal die Speisekarte der „Letzten Instanz“ mit ihrem deftigen Essen dafür geradezu prädestiniert ist. BARBARA BOLLWAHN