Sodom und Versicherungen

KOMÖDIE Mit „Willkommen in Cedar Rapids“ hat Miguel Arteta die sündigen und komischen Untiefen der Versicherungsbranche im kleinstädtischen Amerika ausgelotet. Ed Helms spielt voller Unschuld ein Paradoxon: den ehrlichen Versicherungsvertreter

VON WILFRIED HIPPEN

Der Unschuldige im Sündenpfuhl ist entweder eine tragische oder eine komische Gestalt. Entweder er wird korrumpiert oder er bleibt so ahnungslos, dass die Versuchungen schon deshalb an ihm abprallen, weil er sie gar nicht als solche erkennt. Solch ein seliger Einfaltspinsel ist Tim Lippe, ein Versicherungsvertreter, bei dem es kein Widerspruch in sich ist, wenn seine Kunden ihm vertrauen können. Er lebt glücklich und zufrieden in der Kleinststadt Brown Valley, Wisconsin, und für ihn ist es schon äußerst gewagt, dass er seit kurzem eine Liebesaffäre mit seiner ehemaligen Lehrerin, Miss Vanderhei hat (man achte auf die durchgehend witzigen und genau treffenden Namen).

Dass diese eher die Mutterrolle bei ihm einnimmt, bleibt ihm wie so vieles andere verborgen. Sigourney Weaver zeigt in dieser kleinen aber wichtigen Nebenrolle, dass sie auch mit einer anderen Art von Alien klarkommen kann, indem sie mit einer zärtlichen Faszination seine Kindlichkeit hegt und pflegt. Doch all das ändert sich, weil der Held des Films in die Fremde ziehen muss, um auf der Jahrestagung der Versicherungsbranche im fernen Hotelkomplex „Cedar Rapids“ zum vierten Jahr in einer Reihe den begehrten Two Diamonds Award für moralisch einwandfreie Geschäftspraktiken in Empfang zu nehmen. Man sollte meinen, keiner wäre dazu besser geeignet als Tim Lippe, aber die Veranstaltung entpuppt sich als ein Babylon voller Sex, Drogen und Bestechungsangeboten.

Für ihn ist selbst der Hinflug (sein erster!) ein großes Abenteuer, und im Hotel eröffnet ihm schon die Hautfarbe seines Mitbewohners (“There is an Afro-American in my room!“) neue Welten. Doch selbst unter diesem Stress bleibt er nicht nur politisch korrekt. Tim Lippe hat auch für ihn selber ungeahnte Reserven – er mag zwar ein Landei sein, aber ausnehmen lässt er sich nicht so leicht. So ist er nur eine Weile lang schockiert von den moralischen Abgründen, die das Verhalten seiner Kollegen offenbaren, doch bald schließt er Freundschaft mit dem schwarzen Ronald Wilkes und dem berüchtigten Klienten-Wilderer Dean Ziegler, den John C. Reilly wie immer extrem komisch als einen vergnügungssüchtigen Teddybären gibt, der überall Chaos sät. Dazu kommt noch Anne Heche als die verführerisch rothaarige Kollegin Joan Ostrowski-Fox (!) und das Trio jener, die Tim zuerst in die Versuchung, dann aber auch sicher wieder heraus führen, ist komplett. Im Laufe des Wochenendes säuft, kifft und vögelt auch unser Held nach Herzenslust, aber Regisseur Miguel Artega arrangiert dies in solch verdreht absurden Episoden, dass Tim Lippe zwar den ganzen Spaß hat, am Ende aber mit intakter Unschuld die Heimreise antreten kann.

Ed Helms hat als der Zahnarzt in „Hangover“ schon eine ähnliche Rolle gespielt, aber hier gelingt ihm das Kunststück, Tim Lippe naiv aber nicht dumm, verklemmt aber nicht prüde wirken zu lassen. Selbst eine abgebrühte Prostituierte wird von seiner rührenden Ahnungslosigkeit überwältigt und schließt eine keusche Freundschaft mit ihrem „Mr. Sahnebonbon“, die sie allerdings nicht davon abhält, ihm ein Angebot zu machen, das zu dem zugleich obszönsten und witzigsten Satz des Films führt.