Gerade ist eben vorbei

CLUBKULTUR Vor der Party ist nach dem Konzert. Martin Eberle zeigt Fotografien leerer Berliner Clubs und erschöpfter Gesichter. Seine Ausstellung „Rave is over“ ist im Laden des Gestalten Verlags in Mitte zu sehen

VON ULRICH GUTMAIR

Gestern gibt es nicht. Wir wollen nicht wissen, was eben war. Nichts peinlicher als die Mode der letzten Saison, nichts öder als der Party-Talk von letzter Woche. Die gegenwärtige Gegenwart erkennt sich im Spiegel längst abgeschlossener Epochen. Das eben Vergangene stört.

Martin Eberle bringt diese Ordnung durcheinander. Er macht Momentaufnahmen einer Szene, die gerade dabei ist, von einer anderen abgelöst zu werden. Er fängt Bilder von Leuten ein, die im Bann des gerade Geschehenen stehen. In seiner Ausstellung „Rave is over“ im Laden des Gestalten Verlags zeigt Eberle Fotos aus den Serien „Temporary Spaces“ und „After Show“. Zwischen Bildern von Fassaden und Interieurs von Berliner Clubs hängen Porträts von Musikerinnen und Musikern aus der Stadt. Auf den Porträts ist außer den Leuten nichts zu sehen. Auf den Clubfotos ist es umgekehrt.

Eberle zeigt die Orte des Begehrens leer, sauber und aufgeräumt. So wie sie aussehen, bevor die Leute kommen. Oder völlig versifft, wenn die Leute schon wieder weg sind. Auf der Einladungskarte ist die Galerie Berlintokyo am Morgen zu sehen, mit Kippen und Flaschen zugemüllt. Eberle war Mitbetreiber des Ladens, in einem Hinterhof am Hackeschen Markt, die Treppe runter. Er kommt ohne die Klischees der Clubfotografie aus und erzählt doch alles.

Die Aufnahmen sind 2001 in dem schönen Band „Temporary Spaces“ bei Gestalten erschienen. Sie zeigen den Eimer, Dirt, Sniper, WMF, Club For Chunk, Kunst und Technik, Tresor und viele andere Räume. Eberle fotografierte diese Grauzonen zwischen 1994 und 2001, als die mythologisch wilde Phase der Nachwende gerade vorbei war. Das Alte ist noch spürbar, das Neue noch nicht da.

Ähnlich verhält es sich mit den 130 x 170 Zentimeter großen Bildern von Musikern direkt nach dem Auftritt. Eines Abends im Jahr 2003 stand der Fotograf nach einem Konzert noch im Bad Kleinen herum. Hier und jetzt, im „Backstageraum“ hinter den Bierkästen, einen Meter von der Bühne entfernt, müsste man jetzt ein Porträt machen von Doc Schoko.

Eberle wollte immer schon die Leute aus seinem Freundeskreis fotografieren, deren Musik er mochte. Er wusste nur nicht, wie. Seine Idee war gut. Eberle fängt quasi postkoitale Momente ein: Die Musik ist aus. Die Stöpsel sind aus den Instrumenten und Maschinen gezogen. Der Kontakt zum Publikum ist abgerissen. Der Performer ist auf einmal ganz allein, wie er oder sie vor der Kamera in der Ecke einer winzigen Garderobe steht. Die Leute sehen ruhig aus, erschöpft, ein bisschen triste. Bei Peaches war die Energie sichtlich gerade eben noch da. Schweißperlen stehen ihr im Gesicht. Eberle hat seine Platten-Kamera in Anschlag gebracht. Die Porträtierte darf sich nicht bewegen. Im Moment des Schusses kann der Fotograf den Ausschnitt nicht kontrollieren. Mehr als vier, fünf Aufnahmen macht er meist nicht. Er muss für jedes Foto die Kassette wechseln. Diese hyperrealistischen Bilder leben von der Laune des Augenblicks, wie die ihnen vorangehenden Shows. Trotz des Risikos, in einem ungeschützten Moment gesehen zu werden, haben alle mitgemacht, auch diejenigen, die Eberle nicht kannten.

Niemand sieht sich selbst oder sein Gegenüber je so scharf, wie man die Leute auf diesen Bildern sehen kann. Eingefroren mit jeder Schuppe, die in den Brauen klebt, wie auf dem Bild von Armin von Milch. Mit ihm hat Eberle seine Serie angefangen. Der Performer hat eine Schlägerei auf der Bühne hinter sich gebracht. Jetzt sitzt er vor Eberles Kamera. Er ist ganz ruhig und schaut ins Leere. Noch gar nicht richtig da, und doch ganz bei sich.

■ Gestalten Space, Sophienstraße 21. Mittwoch bis Montag, 10–20 Uhr. Bis 7. August