Die Bilder machen, was sie wollen

WERKSTATT In „Gerhard Richter Painting“ beobachtet Corinna Belz den Maler bei seiner Arbeit im Atelier und kommt so dem sehr scheuen Künstler erstaunlich nah

Überraschend, aber die langen Einstellungen, bei denen die Kamera Richter über die Schultern blickt, werden nie langweilig

VON WILFRIED HIPPEN

„Das ist schlimmer als die Klinik“, sagt er einmal darüber, dass eine Kamera ihn beim Malen aufnimmt. In diesem Moment ist Gerhard Richter verzagt, unzufrieden mit seiner Arbeit an den großen abstrakten Bildern, die er im Frühjahr und Sommer 2009 für eine Ausstellung in New York malt. Und man glaubt ihm in diesem Moment seine Qual und welche Überwindung es ihn kostet, anderen einen Blick auf „die heimliche Angelegenheit“ zu gewähren, als die er selbst das Malen bezeichnet. Später arbeitete er scheinbar wieder ganz entspannt und so, als hätte er das kleine Filmteam hinter seinem Rücken vergessen. Aber dennoch herrscht immer dieser Eindruck vor, die Filmemacherin Corinna Belz habe ihm da etwas Elementares abgerungen.

Er arbeitet in seinem Atelier gleichzeitig an mehreren dieser großen Leinwände, die er eher mit dem Rakel als mit dem Pinsel bearbeitet. Die anfänglich aufgetragenen Farbschichten werden immer wieder verschmiert, übermalt, abgekratzt und durchstrichen, bis sie zu komplexen Bildkompositionen geworden sind, die für Richter längst ein Eigenleben entwickelt haben. „Die Bilder machen, was sie wollen“, sagt er einmal und paraphrasiert damit einen seiner programmatischen Aussprüche aus den 60er-Jahren, die in ein paar Ausschnitten aus Fernsehfeatures zu sehen sind. „Wenn ich etwa verstehe, male ich es nicht!“, hatte er damals gesagt. Da war er erst ein paar Jahre im Westen, 1961 war er aus der DDR geflohen, und danach befragt, wie dieser Ortswechsel seine Kunst verändern würde, sagt er, jetzt mache er halt „kapitalistischen Realismus.“ Diesen sehr trockenen Witz hat er sich bewahrt, und durch ihn gewinnt der Film immens, auch wenn man manchmal das Gefühl hat, Corinna Belz hätte ihm am liebsten nur wortlos bei der Arbeit zugesehen.

So gibt es viele lange Sequenzen, in denen Richter (wie der Titel verspricht) einfach nur malt. Überraschenderweise werden diese Einstellungen, bei denen die Kamera dem Künstler fast immer über die Schultern blickt, nie langweilig. Denn durch diesen langen und genauen Blick lernen wir die Bilder kennen, und dadurch erleben wir ihre Reifung sehr intensiv mit. Um einige macht man sich beim Zuschauen regelrecht Sorgen, denn Richter hat einen Hang zum Dunklen und Grauen, und wenn ein Bild hell, bunt oder „schön“ ist, bleibt es so nicht lange.

Man bekommt einen Eindruck von dem hoch komplizierten Schaffungsprozess, den Richter einerseits über die Jahre perfektioniert hat, der ihn aber zum anderen immer wieder an sich und seiner Arbeit zweifeln lässt: „Ratlosigkeit, das ist ja immer!“, sagt er einmal in die Kamera und man spürt, dass dieses alles andere als die Koketterie eines der berühmtesten bildenden Künstlers unserer Zeit ist.

Während gut ein Drittel des Films aus diesen Werkstattbesuchen besteht, hat Corinna Belz als ordentliche Filmemacherin auch eher konventionelles Material gedreht. Sie hat sich mit den beiden Assistenten von Richter unterhalten, es gibt mehr oder weniger arrangierte Arbeitsgespräche mit seiner New Yorker Galeristin Marian Goodman sowie dem Kunsthistoriker Benjamin H. D. Buchloh, und die Kamera folgt Richter zu Ausstellungseröffnungen in London und New York. Diese Momentaufnahmen vom Kunstbetrieb sind auch geschickt gesetzte Kontrapunkte zu der konzentrierten Arbeit im Atelier, und es gibt sogar ein paar erhellend komische Momente. So fordert Richter etwa für eine seiner Ausstellungen in Köln vom Direktor des Museums ein besonders kaltes Licht auf seine Bilder: „Das muss unbehaglich sein. Die Besucher müssen froh sein, wenn sie wieder draußen sind.“

Wenn Richter Regisseur wäre, würden seine Filme wohl ähnlich wirken wie die von Lars von Trier. Corinna Belz gönnt dagegen dem Publikum ein Happy End: Das schönste Bild, um das man sich im Atelier noch große Sorge gemacht hatte, hat Richter nicht mehr angerührt, und so hängt es, eher heiter und nun als fertiges Werk unantastbar, in der New Yorker Ausstellung. In der letzten Einstellung sagt Richter beim Malen schließlich, was man auch beim Zusehen spürt: „Ach, macht das Spaß!“