Bremerhavener Intendant vor zweiter Spielzeit: Kein ganz normales Stadttheater

Bremerhavens Intendant Ulrich Mokrusch geht in die verflixte zweite Spielzeit. Obendrein will auch noch das 100-jährige Bestehen des Hauses gemeistert werden.

Gut verzahnte Nummernrevue: Das Premierenpublikum spendete dem "Sommernachtstraum" zehn Minuten stehenden Applaus. Bild: Theater Bremerhaven

BREMERHAVEN taz | Nachlegen ist viel schwieriger als vorlegen, gerade für einen Künstler: Erntet ein Regisseur bei der Premiere seines ersten Films gleich jubelnde Feuilleton-Kritiken, erreicht das Debütalbum einer Rockband sofort Download-Spitzenwerte, landet ein Literat mit seinem ersten Buch umgehend auf der Bestseller-Liste - was folgt dann? Oder, um zur Sache zu kommen: Womit legt ein Intendant wie Ulrich Mokrusch nach, nachdem seine erste Spielzeit überregional für Furore sorgte?

Mutig hatte er das bis dahin gemütliche Bremerhavener Theaterplüsch-Leben inhaltlich ins Hier verlegt und ästhetisch ins Heute - und das so überzeugend, dass ein Großteil des Publikums begeistert folgte. In der zweiten Spielzeit unter Mokrusch ist der Reiz gelebter Differenz verschwunden, die Erwartungshaltung indifferent hoch. Muss das Hamburger Thalia Theater um seine Stellung als künstlerisch einflussreichste Bühne Norddeutschlands fürchten? "Wir haben jetzt das Niveau eines gut geführten Stadttheaters erreicht", relativiert Mokrusch die Erwartungen, "und wollen das halten."

Heißt das: Kontinuität herstellen, einfach nur weitermachen? Das wäre wohl zu wenig. Denn das verflixte zweite Jahr ist zugleich auch Jubiläumsspielzeit: Am 1. Oktober 1911 wurde in Bremerhaven das Stadttheater eröffnet, mit William Shakespeares "Sommernachtstraum" eröffnet.

100 Jahre später, am kommenden Samstag, hält man dort nun eine große Jubiläumsgala ab, in der das Engagement der Bremerhavener für die Bühnenkunst gefeiert wird. Zu dem Jugendstil-Theaterbau, das unterstreicht die Jubiläumsfestschrift, kam die Stadt nur dank des Engagements einer Bürgerinitiative. Und nur durch privatwirtschaftliches Engagement konnte der Drei-Sparten-Betrieb an der Nordsee bis heute aufrechterhalten werden.

Mokruschs Vorgänger, Peter Grisebach, erlebte ähnlich kritischen Widerspruch wie seinerzeit schon der erste Intendant, Gustav Burchard: Dieser setze auf "oberflächliche Regien" und meide zeitgenössische Dramatik, hieß es. Später kämpfte das Theater gegen sozialdemokratische Anfeindungen, es wolle bloß "einigen Privilegierten Kurzweil verschaffen". Seit Mokruschs Amtsantritt sind die Kritiker verstummt. Und so eröffnet der Intendant die Geburtstagsspielzeit als große Umarmungs-Dankes-Geste: einem "Sommernachtstraum", fußend auf Henry Purcells "Fairy Queen".

Im England des Komponisten gab es zu dessen Lebzeiten, dem späten 17. Jahrhundert, gab es die Oper noch nicht in der heute etablierten Form: Sie war Teil einer barocken Festivität, bestand aus einer Kombination der szenischen Künste. Purcell schrieb also Lieder, Arien und Chöre, um den Fortgang des Shakespeareschen Schauspiels zu illustrieren. Aber auch Ballettmusik für tänzerische Zwischenspiele.

Für Mokrusch ein Anlass, etwas Neues zu wagen: "Kunstformen begegnen, die Power der Theatersparten potenzieren sich." Die Bühne ist einmal nicht nur der Ort für gesellschaftliche Standortbestimmung, sondern schlicht und einfach Zauberkasten. Was hausintern teambildende Wirkung hat, funktioniert nach draußen als gut verzahnte Nummernrevue. Bei der Premiere spendete das Bremerhavener Publikum spendete stehend Beifall - Standing Ovations satte zehn Minuten lang.

Auch wenn auffällt: Ein Barockorchester ist da, bei aller lässigen musikalischen Beschwingtheit, nicht zu hören. Sergei Vanaev choreografiert putzig lustigen Elfen-Ballett-Zierat, garniert mit Disco-Hüpfern. Die Schauspieler beeindrucken mit extrem körperlichem, teilweise clowneskem Spiel. Für einen herzzerreißend ungezügelten Traum von Rausch und Gier und Identitätsverwirrung reicht das aber nicht. Das Verfolgen, Fliehen, sich Finden, Verlieren, Unglücklichsein der Jugend kommt da nicht auf fiebrige Temperatur, sondern allenfalls sportlich in Fahrt.

Bestes Argument für Phase 2 der Mokrusch-Ära ist daher etwas anderes: Gegen alle Trends im Theaterbusiness - und den mitnichten erhöhten Subventionen zum Trotz - eröffnet im Oktober die Kinder- und Jugendtheatersparte mit einer eigenen Spielstätte im Veranstaltungszentrum "Pferdestall". Wiederum nicht ohne bürgerschaftliches Engagement: Sponsoren ermöglichten das Schaffen von vier Stellen für zwei Schauspieler, einen Techniker und eine Theaterpädagogin. "Das ist wirklich eine neue Qualität", freut sich Intendant Mokrusch, "und ermöglicht uns ganz neue Vernetzungen in die Stadt hinein."

Derweil macht auch das Schauspiel dort weiter, wo es in der vergangenen Saison triumphierte: Da sezierte etwa Kirsten Uttendorf die Grundproblematiken aus Schillers "Maria Stuart" heraus und mit psychologischem Feinschliff zweieinhalb Stunden lang in einem kühlen Bildmetapherraum hinein. So ergeht es jetzt Tennessee Williams "Katze auf dem heißen Blechdach": Wieder setzt die Regie auf Kammerspielton und Ruhe, auf Pause und Differenzierung, versachlicht und verdeutlicht sie in wohltemperierter Schocklosigkeit, wo Williams Text alles schonungslos provokant zuspitzt.

Star des Abends ist erneut Sascha Maria Icks, einst als Königin Elisabeth, jetzt als Aufsteigerin Maggie. Aber, so wird jetzt auch in Bremerhaven gefragt: Warum heutzutage dieses Stück? Warum nichts hinzutun, kaum etwas wegnehmen? Ist diese Innenschau einer krampfhaft ihre Heile-Welt-Fassade aufrecht erhaltenden Gesellschaft noch aktuell?

Natürlich hat es Sinn, das Gefängnis Familie, das gemeinsame Haus der Lebenslügen schäbig transparent aus Holzpaletten auf die Bühne zu täfeln. Aber ist Maggies Mann Brick (Andreas Möckel) ein verzweifelter Rockstar? So jedenfalls steht er jetzt auf einem Palettensteg, lustlos still in den Alkoholismus sich flüchtend. Ist das zeitlos?

Nachlegen ist schwieriger als vorlegen. Versöhnlerisch wird nun aus dem unterhaltsamen Familienzerrüttungstheater ausgeblendet. Brick schmiegt seinen Kopf an Maggie. Ja, die werden gleich ein Kind zeugen. Und wir hoffen, irgendwer hat sich schon um Pflegeeltern gekümmert: Nach den gezeigten Charakterproben, gegenseitigen Hasstiraden, Sauf-Exzessen und Neurosen-Darbietungen sind diese Eltern einem Neugeborenen nicht zuzumuten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.