Zwei Hartzer für ein Halleluja

DISKURSTHEATER Das Theaterkollektiv Copy&Waste lässt in „Die blauen Augen von Terence Hill“ im Hebbel am Ufer die lustigen Gesellen Bud Spencer und Terence Hill auftreten und allerlei Texte aufeinanderprallen

„Pfeif schon mal die Todesmelodie! Für wen? Den Sozialstaat“

VON JAN SCHEPER

Beim Warten haben sie schon immer gut ausgesehen – das Krokodil und sein Nilpferd. Gewartet haben Mario Girotti und Carlo Pedersoli – besser bekannt als Terence Hill und Bud Spencer – in ihren Filmen oft: auf die nächste Prügelei, das schnelle Geld oder die Flasche Whiskey. Gewartet haben seinerzeit auch Generationen von Fernsehzuschauern auf das Wochenende. Sonntags durfte das Duo Hill/Spencer zur Familienerheiterung beitragen. Ein Stück heile Welt, am Ende gewannen die lässigen Westernhelden jedes Duell mit anarchisch-absurder Leichtigkeit – immer.

Heute sieht das anders aus: „Ich bin den ganzen Tag beschäftigt. Mit nichts. Und das dauert. Seit ich so viel Zeit habe, dauert alles. Doppelt so lang. Jeden Tag doppelt so lang wie am Tag davor. Sie gleiten allmählich ab aus einer geregelten Existenz ins Ungebundene.“ Es ist ein arbeitsloser Bud Spencer, der da nachdenklich, mit einer gehörigen Portion Bitterkeit resümiert. Spencer steht auf der Bühne des HAU 3 am Tempelhofer Ufer. Das Theaterkollektiv Copy&Waste hat für das Stück „Die blauen Augen von Terence Hill“ die beiden Spaßvögel in die „H4 World“ gesteckt, einen angeranzten Vergnügungspark, der dem Prekariat als Spielwiese dienen soll. Für den neuen Streifen des schlagfertigen Duos ist schnell ein veritabler Feind gefunden: „Pfeif schon mal die Todesmelodie! Für wen? Den Sozialstaat.“ Er sei heute der Großgrundbesitzer, „der die Gesellschaft spaltet“.

Hill/Spencer müssen aber schnell erkennen, dass selbst fliegende Fäuste da nicht helfen. Sie kämpfen gegen ein undurchsichtiges Versorgungsmodell und nicht gegen einen Revolverhelden. Die Kulisse, in der sie wüten dürfen, soll dagegen utopisch offen sein „für solidarische Tricksereien und nachhaltige Verschwendung, für arkadisches Nichtstun und eine rastlos flexible Sozialität“.

Es ist die zehnte Produktion seit 2007, die die Berliner Theatermacher auf die Bühne bringen. Die Gruppe um Regisseur Steffen Klewar und Autor Jörg Albrecht hat sich in den letzten Jahren zunehmend mit crossmedialen Diskurs- und Ideenfeuerwerken in der freien Szene etabliert. Ihren Stücken gemein ist eine Thematisierung sozialer Architekturen. Abgerundet werden die Texte durch vielfältigen intermedialen Materialeinsatz.

In „Die blauen Augen von Terence Hill“, an dessen Realisierung neben dem HAU das Theaterhaus Jena und das Theaterfestival Steirischer Herbst in Graz beteiligt waren, begegnen dem Zuschauer – zwischen Verweisen auf Hartz IV, Bildungsgutscheine und neoliberalen Plattitüde – allerhand bekannte Gesichter des öffentlichen Diskurses. Sie werden in einen absurden Rahmen gezwungen, der kaum auf ein Quäntchen zwischenmenschlicher Substanz hoffen lässt: RTL-Elite-Schuldnerberater Peter Zwegat darf den Protagnisten die Lebens-Rechnung unterm Strich am imaginären Flipchart präsentieren: „Das ist kein Schuldenberg, das ist Bud Spencer.“

Auch Thilo Sarrazin und Gerhard Schröder spuken munter durch den zitathungrigen Text, die Darsteller schlüpfen auch in diese Rollen. Es ist ein dichtes, pluralistisches und vielstimmiges Theater. Eine Referenz jagt die nächste, Identitäten wabern ineinander, allein Hill/Spencer bleiben erkennbar. Um den geplanten neuen Film geht es bald nicht mehr, sondern nur noch darum, wie man dem Staat die Stütze abluchst. Die Texte selbst beginnen übers Parkett zu hetzen. Das verbale Karussell aus Stereotypen, Armutserklärungen und Insolvenzgeschnatter nimmt ordentlich Fahrt auf.

Entkommen, sich Luft machen können die Darsteller nur, wenn sie ihre Rolle verlassen: „Ich fürchte, ich muss Ihnen gleich in die Fresse schlagen, damit ich mich anschließend wieder beruhigen kann und damit Sie meinen Hass auf diesen Text ernst nehmen und weitergeben können.“ Es ist der einzig mögliche Widerstand gegen eine brüchig werdende, bittere soziale Realität, die das Stück ausstellt.

Das Ensemble (Sebastian Thiers, Janna Horstmann, Steffen Klewar und Mathias Znidarec) überzeugt beim Sprung durch ungezählte Rollen. Die Kulisse beherbergt neben einer dampfenden Küchenzeile, einem kleinen Fernsehstudio für die im Raum verteilten Bildschirme – denn kommentiert wird unaufhörlich – auch eine Videospielinstallation. Statisch ist dabei nichts, alles bleibt in Bewegung. Doch am Ende kommen bei aller Rebellion Terence Hill und Bud Spencer wieder bei dem an, was sie einst so gut konnten. Sie warten – und spielen Poker.

■ HAU 3, bis 16. Oktober