Aus Liebe zur Kreisliga: Chronist der Leidenschaft

Björn Meyer ist an den Rollstuhl gebunden. Doch logistischen Problemen und Rumpelfußball zum Trotz ist er Dauergast auf Hamburgs Fußballplätzen.

Auf dem Platz kennen Björn Meyer alle: die Spieler, die wenigen Fans und die alten, fachsimpelnden Männer. Bild: Miguel Ferraz

HAMBURG taz | Eisiger Wind fegt über die Sportanlage an der Max-Brauer-Allee in Hamburg-Altona. Das Kreisliga-Spiel zwischen Inter Hamburg und Hansa 11 ist genauso trist wie das Wetter. Die wenigen ZuschauerInnen verbergen die kalten Hände in den Hosen- und Jackentaschen. Nur Björn Meyer nicht. Mit einer Hand hält er den Block auf seinen Beinen, mit der anderen den Kugelschreiber, der über das Papier rast.

Der 18-Jährige verbringt all seine Wochenenden auf den rumpeligen Äckern der Stadt, um für das Internet-Portal fussballhamburg.de unentgeltlich über Kreisliga-Fußball zu berichten. Dabei kam Björn selber nie in den Genuss, Fußball zu spielen. Seit seiner Geburt leidet er am kaudalen Regressionsyndrom und sitzt im Rollstuhl.

Dieses Wochenende hat er sechs Partien auf seinem Plan. Am Sonntagmorgen fährt er von seinem Elternhaus in Lokstedt mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu einem Spiel in die Hamburger Sternschanze. Das Spiel plätschert vor sich hin, Björn ist trotzdem gut gelaunt und macht sich jede Menge Notizen.

Unmittelbar nach Abpfiff sind Block und Stift dann aber bereits in der Tasche verstaut: Er muss zum Bus, um den Spielbeginn an der Max-Brauer-Allee nicht zu verpassen. "Logistisch ist das nicht immer ganz einfach. Damit ich alle meine Ziele schaffe, brauche ich gute Planung und immer mal wieder auch hilfsbereite Passanten, denn leider warten doch häufiger auch Treppen auf mich", sagt er.

Mit schwierigen Situationen wird Björn alltäglich konfrontiert, doch er wehrt sich vehement gegen mögliche Bevorteilungen. Als er sechs Jahre alt war, schickte man ihn auf eine Körperbehindertenschule. Dort verbrachte er unglückliche Jahre. "Die haben mich behandelt, als ob ich geistig unterentwickelt wäre", sagt er. Daraufhin wechselte er auf eine Regel-Grundschule und besucht mittlerweile seit sieben Jahren die Ida-Ehre-Gesamtschule in Eimsbüttel. Hier will er im übernächsten Jahr Abitur machen. "Die Umstellung war schon heftig. Plötzlich wurde mir nicht mehr alles hinterhergetragen, aber nach einiger Zeit des Einlebens bin ich mittlerweile sehr zufrieden", sagt er.

Björn weiß, dass die schwankenden Schulnoten wohl auch dem intensiven Fußball-Engagement geschuldet sind - ein dauerhafter Streitpunkt daheim. "Kurz vorm Abitur werde ich wohl kürzer treten müssen, aber momentan ist der Kreisliga-Fußball einfach meine größte Leidenschaft", sagt er. Verwunderte Nachfragen nach dem Warum beantwortet er immer gleich: "Aus Liebe zum Spiel."

Am Platz in Altona angekommen, sucht sich Björn erstmal seine Lieblingsposition direkt am Mittelkreis des Spielfeldes. Hier kann er alles überblicken. Jeder Spieler und auch alle anderen Anwesenden scheinen Björn zu kennen. Es ist kaum möglich mehr als eine Minute am Stück mit ihm zu reden, ohne dass Menschen zu ihm kommen, ihm die Hand schütteln oder auf die Schulter klopfen. "Du bist wirklich ein Phänomen", sagt ein Spieler und grinst Björn an.

Das Spiel ist kein Leckerbissen, die Möglichkeiten der Spieler sind begrenzt. Es lebt von seiner Leidenschaftlichkeit: Die Spieler rennen über das Feld, als ginge es hier um alles. Es wird gegrätscht, gebrüllt und als das Auswärts-Team vom SC Hansa 11 kurz vor Spielende den 2:2-Ausgleich erzielt, kennt der Jubel bei der Mannschaft und den wenigen Anhängern keine Grenzen. Björn lächelt: "Kreisliga-Fußball ist emotional und authentisch. Hier wird gehackt, gehämmert, alles gegeben. Außerdem habe ich mittlerweile eine Menge neuer Freunde gefunden."

Als der Schlusspfiff ertönt, muss Björn sich beeilen, um einige ausgewählte Spieler noch vor dem Gang in die Kabine abzufangen und zu interviewen. Vor dem Kabinen-Häuschen wartet eine große Schwelle, doch bevor er irgendetwas sagt, kommen schon ein Betreuer und ein Spieler angelaufen und tragen ihn samt Rollstuhl darüber.

Liest man Björns Artikel, wird klar, dass hier ein Fußballliebhaber am Werk ist. Nach diesem Wochenende wird er Sätze tippen wie: "Doch mitten in dieser ruhigen Spielphase setzten die Gäste einen gehörigen Nadelstich, der keineswegs eine freundliche Akupunktur war, sondern das 0:1."

Egal, ob es kalt ist oder in Strömen regnet, auch am nächsten Wochenende wird Björn wieder die Asche-Plätze Hamburgs besuchen, mit alten Herren fachsimpeln und sich mit den Spielern über die Schiedsrichter-Leistung echauffieren. Es gibt nur einen Grund für ihn, eine solche Partie ausfallen zu lassen: ein Heimspiel des FC St. Pauli, denn am Millerntor hat er bereits seit acht Jahren eine Dauerkarte.

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