Die Sagas von Pleiten und Hering

ISLAND Bei den 53. Nordischen Filmtagen in Lübeck werden bis Sonntag 147 Filme aus zehn Ländern Nordeuropas gezeigt. Zwei Filme sind aus Island

VON WILFRIED HIPPEN

Krisenzeiten sollen ja gut für die Künste sein und auf der Frankfurter Buchmesse wurde gerade bewiesen, dass sich im diesjährigen Gastland Island viele Autoren durch die interessanten Zeiten inspirieren lassen. Aber der Film ist eine teure Kunst und das kleine, aber mit Regisseuren wie Fridrik Thór Fridriksson („Children of Nature“) und Baltasar Kormakur („101 Reykjavil“) reich gesegnete Land kann sich kein großes Kino mehr leisten. Im letzten Jahr wurde die Filmförderung um mehr als ein Drittel gekürzt und so könnte dies das letzte Jahr sein, in dem die Insel auf den Nordischen Filmtagen in Lübeck mit acht Produktionen zu den am stärksten vertretenen Ländern zählt.

Ein Porträt des Schriftstellers Halldór Laxness läuft unter dem schön trotzigen Titel „Ein Anti-Amerikaner gewinnt den Nobelpreis“ und die Dokumentation „Ohne Haut und Gräten: eine Rockband auf See“ erzählt von der musizierenden Besatzung eines Fischtrawlers. „Brim – Die Strömung“ wirkt fast wie als Gegenentwurf zu den dort gezeigten fröhlich rockenden Seeleuten. Der Spielfilm von Árni Ólafur Ásgeirsson basiert zwar auf einem in Island beliebten Theaterstück, aber in diesem Kammer- oder besser „Kajütenspiel“ werden die Lebens- und Arbeitsbedingungen einer Handvoll von Seeleuten so authentisch und detailreich dargestellt, dass der dokumentarische Wert des Film oft seine dramatischen Qualitäten in den Schatten stellt.Erzählt wird von der Besatzung des Fischtrawlers „RE 29“, der zum Beginn des Films mit einem toten Besatzungsmitglied an Bord in den Hafen von Reykjavik einläuft. Es ist beinah eine Gnade, dass der Landurlaub der Seeleute so ist kurz ist, denn in wenigen prägnanten Szenen macht Ásgeirsson deutlich, wie fremd die Männer selbst ihren Familien und Freunden geworden sind. Skipper Anton heuert für den nächsten Törn seine Nichte Drifta an, dabei weiß doch jeder, dass eine Frau an Bord nur Unglück bringt. So steuert das heruntergekommene Schiff ein wenig zu vorhersehbar auf stürmische Gewässer zu. Aber obwohl er mit Wellen, Orkan und dem herumwandernden Geist des Verstorbenen ein spannendes Kinospektakel veranstaltet, ist Ásgeirsson mehr an der Frage interessiert, wer sich freiwillig den Strapazen solch einer Fahrt aussetzt.

Die Dokumentation „Thor’s Saga“ erzählt von den Gründen und Auswirkungen der Wirtschaftskrise in Island und die dänische Filmemacherin Ula Boje Rasmussen hat dafür mit dem Doppelporträt von zwei isländischen Unternehmern eine interessante Form gefunden. Thor Jensen war ein dänischer Kaufmann, der 1878 als 15-Jähriger von Dänemark nach Island kam, dort ein kleines Handelsimperium aufbaute und wieder verlor. Seine Methode bestand darin, frühzeitig eine Nachfrage zu erkennen und die entsprechenden Waren zu produzieren. So verkaufte er Schafe, führte pasteurisierte Milch auf der Insel ein, baute eine Flotte von Fischtrawlern auf (als deren Symbol er Anfang des 20. Jahrhunderts in aller Unschuld das Hakenkreuz wählte) und ließ in Rekordzeit eine Fischfabrik bauen, weil im Ersten Weltkrieg global Mangel an Nahrungsmitteln herrschte. Schließlich ging er spektakulär Pleite.

Sein Urenkel Björggólf Thor Björgólfsson nahm ihn sich offensichtlich als Vorbild und wurde mit der gleichen Methode zu einem extrem erfolgreichen Geschäftsmann. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion war er eine der ersten Investoren aus dem Westen. Er verkaufte den Russen in Massen produziertes Bier und verkaufte seine Firma genau im richtigen Moment an die Brauerei Heineken, um dann in Bulgarien eine Pharmaindustrie aufzubauen. Anfang des neuen Jahrtausends kehrte er auf seine Heimatinsel zurück und kaufte dort eine der beiden größten Banken, die gerade privatisiert wurde. So wurde er zu einem der Verantwortlichen für den Zusammenbruch der isländischen Wirtschaft im Jahr 2008.

Indem sie in einer einzigen großen Parallelmontage betont sachlich und nach glänzenden Recherchen diese beiden Karrieren nebeneinander stellt, gelingt es ihr, einige der Mechanismen des Finanzsystems zu hinterfragen. Dabei dämonisiert sie die beiden Thors nicht, spielt aber mit den mythischen Aufladungen ihres gemeinsamen Namens. Nur selten wird Wirtschaftsgeschichte so lebendig und intelligent vermittelt.

Das Programm der Nordischen Filmtage Lübeck finden Sie unter www.luebeck.de/filmtage