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Brasch – Das Wünschen und das Fürchten Deutschland 2011, R: Christoph RüterMetropolis

„Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin!“ Dies ist die Schlusszeile eines Gedichts von Thomas Brasch, das in den späten 70er Jahren von vielen, die sich sonst kaum für Lyrik interessierten, oft und gerne zitiert wurde. Eine Zeitlang fand er mit seinen Texten, Theaterstücken und Filmen genau die richtigen Worte, um dem Zeitgeist einzufangen. Dass er dabei auch immer seinen eigenen sowohl politischen wie auch seelischen Zustand beschrieb, ist kein Widerspruch, denn ein guter Dichter spricht ja immer zugleich von seinem Innersten und der Welt.

Außergewöhnlich talentiert, zornig, zugleich aber auch klug und kultiviert kam er aus der DDR in den für ihn ungeliebten Westen und bleib dort genauso unbequem wie er es in seinem Heimatland war. Dort war er für den Protest gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings in den Knast gewandert, denunziert von seinem eigenen Vater, der damals stellvertretender Minister für Kultur war. „Vor den Vätern sterben die Söhne“, hieß dann sein erster Erzählband, der nur in Westdeutschland erscheinen konnte und Brasch wurde zur „einmaligen Ausreise“ getrieben. Etwa zehn Jahre lang war Brasch künstlerisch extrem produktiv und erfolgreich. Für seinen ersten Film „Engel aus Eisen“ bekam er 1981 den Bayrischen Filmpreis zugesprochen und bedankte sich in Anwesenheit von Franz-Josef Strauß und unter lauten Buhrufen für seine Ausbildung an der Filmhochschule der DDR. 1987 verarbeitete er in „Der Passagier“ seine jüdische Identität und gewann immerhin Toni Curtis dafür, in seinem kleinen deutschen Film die Hauptrolle zu spielen.

Diese außergewöhnliche deutsche Karriere zeichnet Christoph Rüter mit den genau passenden Archivaufnahmen und Textauszügen nach. Seit den frühen 80er Jahren ist Rüter ein Freund und Kollege von Brasch, und durch diese intime Kenntnis kann er oft frappierend genau zeigen, wie Brasch seine persönlichen Erfahrungen in Literatur verwandelt hat. In einer Auseinandersetzung darüber, in welcher Position er für die Kamera einen Text von Peter Weiß über Auschwitz lesen soll, improvisiert er mit einer unglaublichen Schlagfertigkeit und Eleganz über die doppelte Bedeutung des Wortes „niedergeschlagen“ und weigert sich, den Text mit Blick nach unten vom Blatt auf seinen Knien abzulesen. In Momenten wie diesem blitzt noch einmal die subversive Intelligenz von Thomas Brasch auf.

Doch er gehört schon zu den Zeugnissen seines Untergangs. Nach 1989 verließ den Dichter die Inspiration, er vergrub sich in ein Romanprojekt, das bald zu 14.000 Manuskriptseiten anschwoll und das er selber als sein „Gefängnis aus Worten“ erkannte. Brasch begann Videotagebücher zu führen, und dieses Material aus seinem Nachlass (er starb 2001 mit 56 Jahren) verarbeitete Rüter zum letzten Drittel des Films, in dem der sowohl künstlerische wie auch körperliche Niedergang von Brasch in erschütternder Nähe dokumentiert wird: „Wo ich bin, will ich nicht sterben aber – wo ich sterbe, will ich nicht hin.“

Der Film läuft im Hamburger 3001 Kino.