Der Dichter im Tarnnetz

KLEISTFESTIVAL Hauptsache lustig: Jan Bosse scheint sich in seiner Inszenierung von „Das Käthchen von Heilbronn“ das Unbedingte und Kompromisslose seiner Protagonistin doch etwas vom Leibe halten zu wollen

Wie einst der Autor tut heute die Regie zu viel des Guten, das Ganze populär und unterhaltsam zu machen

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Der schönste Moment ist ein kleiner: Als wir in zwei grünen Sesselchen im beinahe leeren Foyer des Gorki-Theaters sitzen, Kopfhörer auf den Ohren, und uns vorlesen lassen: wie Ludwig Tieck, Alfred Döblin und Theodor Fontane ihr Interesse an Kleist beschrieben haben. Die Schauspieler des Maxim Gorki Theaters lesen aus Essays und Polemiken von 20 Autoren aus 2 Jahrhunderten, das ist eine Germanistikstunde, aber auch eine intime Angelegenheit. Man will Kleist eben nicht nur mit allen teilen auf diesem Festival, das ihm drei Wochen lang gewidmet ist, man will ihn manchmal auch ganz persönlich für sich haben.

Zwei Premieren haben wir da schon hinter uns, „Das Käthchen von Heilbronn“ und „Über das Marionettentheater“. Fontane gruselte sich vor dem Käthchen, vor der Unterwürfigkeit des Mädchens, die zum Märchenhaften des Stücks einen schlechten, weil sexuell verdächtigen Beigeschmack gäbe. Alfred Döblin, der Arzt, diagnostiziert dagegen die große Vertrautheit von Kleists Figuren mit den Symptomen des Wahnsinns. Solch ein Befund interessiert den Regisseur Jan Bosse in seiner Inszenierung des Käthchens nicht, zum Glück.

Anne Müller verleiht der Beharrlichkeit ihrer Liebe zu einem Ritter, den sie aus ihren Träumen kennt, einen kindlichen Trotz, eine unschuldige Anmut und eine große Verletzlichkeit. Ihre Figur tastet Jan Bosse mit seinen Späßen nicht an. Ansonsten aber stellt seine Inszenierung grade das aus, was schon Fontane bemängelte, das Entgleiten des Stücks in alle Richtungen, sein unlogisches Holpern, sein Abrutschen in Kitsch. Unterstützt wird Bosse dabei von den drei Puppenspielern mit grob zusammengefügten Schaumstofffiguren, die alle möglichen Nebenfiguren etwas unwirsch und mit witzigen Kommentaren spielen.

Ach nee, so viel Aufwand

Sie, die sonst als „Das Helmi“ eigene Inszenierungen machen, brechen das Schauspiel immer auf etwas herunter, das nach Handwerk und technischen Tricks aussieht, deren Aufwand man mitten in der Arbeit dann aber doch gescheut und mit einer groben Skizze verkürzt habe. Das ist lustig, aber auch schnell durchschaut. Ihr Klamauk wirkt in der Inszenierung des „Käthchens“ schließlich wie ein Schutzschild, um sich das Unbedingte und Kompromisslose des Käthchens noch etwas vom Leibe zu halten.

So tut die Regie heute ebenso wie einst der Autor Heinrich von Kleist etwas zu viel des Guten, das Ganze zu einer populären und unterhaltsamen Angelegenheit zu machen. Das ist schade, weil es auch so unnötig scheint. Denn wie Joachim Meyerhoff in einer klapprigen Rüstung den Graf Wetter vom Strahl zuerst als etwas tumben, eitlen und über den Rand seiner Rüstung wirklich kaum hinausschauenden Mann spielt, der allmählich angerührt von Käthchens ihm völlig unverständlicher Liebe ist und schließlich im Traum mehr von sich erkennt, als ihm im wachen Zustand zuzugeben möglich ist, und der über das eigene Begehren erschrickt wie über etwas, das in seinem Selbstbild bisher nicht vorkam, ist großartig: Er schließt die Sprache von Kleist, die in ihrer Bewegtheit ja auch stets etwas über den Raum der Sprache und des Denkens heute hinausschwingt, damit ebenso auf wie das Stück. Sich darauf mehr zu konzentrieren, hätte man sich gewünscht.

Inspiration und Labyrinth

Dass man von Kleist ausgehend, ja sich von ihm abstoßend sich in viele thematische Felder begeben und darin auch herrlich verirren kann, das zu ermöglichen, ist das Festival auch gedacht. Nicht umsonst ist im Garten hinter dem Theater ein Irrgarten angelegt, scheinbar aus barock geschnittenen Hecken, tatsächlich aber aus militärischen Tarnnetzen. Kleist, der das Militär, in dem ihm eine Laufbahn zugedacht war, hasste, brachte den Krieg in vielen seiner Stücke auf das Theater.

Das liegt den Inszenierungen immer wie ein Stein im Magen, Krieg auf der Bühne tendiert ins Lächerliche, Bosse tritt denn auch im Käthchen gleich mit Schaumstoff-Pferden die Flucht nach vorn an. Dass aber die Bilder des Krieges inzwischen zu einem eigenen Genre in der Unterhaltungsindustrie geworden sind, mit an Spannung schwer zu überbietenden Bildern, belegt eine Installation mit Filmausschnitten im Keller des Theaters, die „Tropen des Krieges“ von Harun Farocki und Antje Ehrmann.

Beim Krieg im Videospiel landen auch die Performer Victor Morales und Billy Burns. Sie arbeiten mit Kleists Text „Über das Marionetten-Theater“, in dem Kleist über die Begriffe von Anmut, Virtuosität und Unschuld des Spiels in dialogischer Form nachdenkt. Aber gerade die Diskurse, zu denen Kleists Text sonst herangezogen wird, interessieren die beiden weniger. Mehr dagegen, die Marionette zu digitalen Formen des Doppelgängers in Beziehung zu setzen und sich Marionetten auszudenken, die an ihrem eigenen Antriebssystem zugrunde gehen. Es scheinen dabei immer nur kleine Betriebsfehler, die aus ihren „genialen“ Schöpfungen grausame Spielzeuge machen, die letztendlich an der eigenen Selbstzerstörung arbeiten. Ihre Performance ist zugleich die Zurschaustellung zweier Nerds, die sich gegenseitig auch schikanieren und manchmal cholerisch ausrasten. Womit sie zwischenmenschlich nicht zurande kommen, findet sich ins Monströse gesteigert in ihren virtuell erfundenen Welten wieder. Es sind verschobene Orte der Arbeit am Konflikt und des katastrophalen Scheiterns an ihm.

Den Diskurs von Morales und Burns kann man mit etwas gutem Willen an einzelnen Stichworten zwar wieder mit Kleist zusammenkleben; allein warum? Schließlich ist man froh, ihn gerade auch deswegen zu haben, weil seine Dramen eben doch immer auch mehr sind als nur verschobene Orte der Konfliktlösung. Nach diesem Mehr die Finger auszustrecken, das bleibt die Herausforderung, auch für dieses Festival.