Ein Funkeln in Novembertagen

FESTIVAL Die Region Braunschweig ist keine Hochburg von Independent-Filmen. Das Filmfest ist dennoch nach 25 Jahren nicht mehr wegzudenken - und zwar weit über die Region hinaus.

VON FELIX LEE

Bruno Ganz mal eben auf der Straße treffen und ihn nach dem Weg fragen? In Braunschweig ist das möglich. Absperrungen sind nicht nötig, Bodyguards auch nicht. Niemand wird in einer Limousine vor das Kino vorgefahren. Und Fotografen, die einem die Sicht versperren, gibt es auch nicht. Das Internationale Filmfest in Braunschweig kommt aus ohne aufgemotzten Glamour, wie an anderen Festivalorten häufig üblich. Und selbst Filmemacher und Schauspieler, die durchaus schon auf den roten Teppichen von Cannes, Berlin oder Venedig stolziert sind, geben sich dort auf einmal ganz bodenständig.

Seit einigen Jahren funkeln einem an den trüben Novembertagen in der Braunschweiger Innenstadt auf gelben Plakaten die Augen von irgendwelchen Filmgrößen entgegen – auch das eines der unverkennbaren Merkmale des Braunschweiger Filmfests und ein weiterer Beleg dafür, dass selbst nach 25 Jahren immer noch Filmliebhaber hinter der Ausrichtung stecken und keine charakterlosen Veranstaltungsagenturen. Es handelt sich damit um das älteste Filmfest in Niedersachsen überhaupt. Und mit über 160 Filmen und jährlich 25.000 Zuschauern rangiert es von seiner Größe her unter den Top 10 in Deutschland.

Angefangen hatte das Festival mit einer Gruppe aus Studis, Absolventen der Braunschweiger Filmklasse der örtlichen Universität der Künste sowie Kinoliebhabern, die sich in einer „Filmkoop“ zusammengeschlossen hatten. Obgleich Ende der achtziger Jahre die Multiplex-Kinos in Deutschland noch nicht Fuß gefasst hatten und das Sterben der bundesrepublikanischen Programmkinos erst am Anfang stand, wollten sie schon damals dem „Kommerz-Schwachsinn“ etwas entgegensetzen.

Sie verstanden sich basisdemokratisch. Entsprechend vielseitig gestalteten sie das Programm. Mögliche Kassenschlager aus Hollywood fanden sich ebenso im Angebot wie abseitiges Autorenkino aus der unmittelbaren Region. Mit einem Budget von damals gerade einmal 66.000 Mark stellten die Initiatoren immerhin 80 Filme in 65 Vorstellungen zusammen. 6.000 Zuschauer kamen. Heute ist das Budget 15-mal so hoch.

Als der damals frisch gewählte Oberbürgermeister Gerd Hoffmann sogleich die städtischen Mittel für das Festival strich, mit dem Argument, es mangele an überregionaler Ausstrahlung, waren private Geldgeber und die Hausbank des Volkswagen-Konzerns dabei. Das Festival war gerettet. Doch damit nicht genug: Als 2006 mit dem Universum Filmtheater das einzige Programmkino in Braunschweig die Pforten schloss, übernahmen Mitglieder des Filmfestvereins das Kino. Nun läuft es wieder...

Vielseitig bleibt das Programm heute zwar auch noch. Und doch: Spätestens seit 2000 Volker Kufahl die Leitung inne hat, setzen die Macher sehr viel dezidierter auf eigene Akzente. Ein Schwerpunkt bildet das Genre „Musik und Film“. Mit der Reihe „Neue Filme aus der Haute Normandie“ hegt das Team eine besondere Sympathie für den französischen Film. Zum anfangs einzigen Wettbewerb, dem „Heinrich“-Publikumspreis für europäische Debüt- und Zweitfilme, sind drei weitere Wettbewerbe hinzugekommen, darunter auch der mit 10.000 Euro dotierte Schauspielerpreis „Die Europa“. Dieses Jahr erhält die französische Filmdiva Isabelle Huppert die Auszeichnung. Und mit jährlichen Länderschwerpunkten ist Kufahl darum bemüht, hiesigen Liebhabern auch Filme aus anderen Erdteilen nahezubringen. Sechs Filme aus China und Hongkong stehen dieses Mal im Fokus des Festivals.

Und mit einer weiteren Besonderheit will das Braunschweiger Filmfest im Jubiläumsjahr aufwarten: Festivalleiter Kufahl ist auf die Sammlung des verstorbenen Wolfsburger Filmliebhabers Wolfgang Schneider gestoßen. Über 1.000 lange und 900 kurze Filme hatte er auf 35 und 16 Millimeter gesammelt, darunter Werke aus dem Jahr 1915. Neun Highlights sollen aus der deutschlandweit wahrscheinlich größten Sammlung dieser Art vorgeführt werden. Was die Frage aufwirft: War die Volkswagen-Region kulturell doch keine Brache? Und zwar auch vor Filmfest-Zeiten schon nicht?

Das Programm finden Sie unter www.filmfest-braunschweig.de