Ein Spaziergang im Gemälde

KUNSTKINO In „Die Mühle & Das Kreuz“ lässt der polnische Künstler Lech Majewski das Bild „Die Kreuztragung Christi“ von Pieter Bruegel lebendig werden

Viel wurde im Stil eines Gemäldes aus dem 16. Jahrhundert komponiert, damit der Film immer im Rahmen des Bildes bleibt

VON WILFRIED HIPPEN

Man muss genau hinsehen, um Jesus überhaupt in dem Bild „Die Kreuztragung Christi“ von Pieter Bruegel zu finden. Er müht sich zwar genau in der Bildmitte mit seinem Kreuz ab, ist aber so klein und unscheinbar gemalt, dass viele der über 500 Menschen, die das große Landschaftspanorama (124x170cm) bevölkern, viel eher die Aufmerksamkeit des Betrachters wecken. Als Bruegel 1564 dieses Werk schuf, war seine flämische Heimat von Spanien besetzt und die katholischen Herrscher verfolgten die protestantischen Flamen. Indem er die Passion Christi in sein Land und seine Zeit verpflanzte, schuf er ein Gemälde mit hunderten von Details, Symbolen und Anspielungen auf die Schreckensherrschaft der spanischen Krone.

Ein konventioneller Filmmacher könnte die vielen alltäglichen Szenen, ländlichen Idyllen, Grausamkeiten und Tragödien, die als Miniaturen im Gemälde zu entdecken sind, als ein großes historisches Epos, ein „Vom flämischen Winde verweht“, inszenieren. Der polnische Künstler Lech Majewski hat dagegen einen neuen, viel originelleren Zugang zum Bild gefunden. Er ließ es lebendig werden, indem er mit seiner Kamera direkt in das Gemälde hineinging. Dafür konzentrierte er sich dafür auf ein Dutzend Figuren aus Bruegels Menschenmasse. Er selber malte eine etwas leererer und übersichtlichere Kopie des Meisterwerkes und bevölkerte sie durch moderne Computertechnik mit Darstellern in den Kostümen und Situationen, die Bruegel darstellte. Diese Sequenzen haben eine verblüffend faszinierende Wirkung, denn in der gemalten Landschaft wirken die realen Menschen surreal und die dem Bild nachempfundene Perspektive verstärkt diesen Eindruck noch, weil sie so offensichtlich einen künstlichen Raum schafft. Aber da dieser Effekt droht, vom Bild selber abzulenken und sich nach einiger Zeit totzulaufen, hat Majewski auch überall in Europa Landschaften gefunden, die jenen im Gemälde ähnlich sind. In diesen drehte er Szenen in „Realfilm“, die er aber wiederum im Stil eines Gemäldes aus dem 16. Jahrhundert komponierte, sodass er nie ganz den Rahmen des Bildes verlässt.

Es wird kaum geredet in diesem Bild. Nur drei Protagonisten sprechen überhaupt, und diese werden von internationalen Stars verkörpert. Majewski nutzt hier subtil ihre ikonografische Wirkung. Rudger Hauer hatte in „Bladerunner“ schon „brennende Raumkreuzer an der Schulter des Orion und C-Strahlen glitzernd in der Dunkelheit des Tannhäuser Tors“ gesehen und wirkt nicht nur deshalb vom ersten Moment an überzeugend als der Maler Pieter Bruegel, der sich selber in sein Bild hineinmalte. Sein Auftraggeber Nicolas Jonghelinck wird von Michael York mit der Melancholie eines alt gewordenen Lebemannes gespielt und im Gesicht von Charlotte Rampling sieht man soviel reich und tief gelebtes Leben, dass sie als Bruegels Model für die Jungfrau Maria ideal besetzt ist. In den stilisierten Unterhaltungen und Monologen dieser Protagonisten bringt Majewski die nötigen Mindestinformationen über das Bild und die Umstände seiner Entstehung unter, doch dabei entsteht nie der Eindruck, die drei seien kaschierte Erzähler.

In vielen Szenen wird die Grausamkeit jener Zeit dargestellt. So lernen wir ein junges bäuerliches Paar kennen, das auf dem Weg zum Markt von den rot gekleideten spanischen Soldaten auf ihren Pferden umringt wird. Sie nehmen den Mann gefangen, foltern ihn und binden ihn auf ein Rad, das sie auf einem hohen Pfahl aufrichten. Dort oben picken dann Raben die Augen des jungen Mannes aus. In einer anderen Szene, die gar nicht genau erklärt werden muss, wird eine junge Frau von den Soldaten lebendig begraben. Aber auch die symbolische Ebene des Gemäldes wird deutlich, wenn etwa auf einer absurd hoch auf einem Felsen gebauten Mühle der Müller hinunter auf die Landschaft sieht, wird auch ohne die Erklärung durch Bruegel selber klar, dass hier der Schöpfer selber auf seine Schöpfung blickt.

„Kann man das alles überhaupt in einem Bild ausdrücken?“, fragt Jonghelinck den Maler. Der sagt schlicht „Ja“ und hält mit einer Handbewegung die Welt an, um sie zu malen.