Kongeniale Ungleichheit

JAZZ-DUO Eine Ausnahmeerscheinung sind Pianist Brad Mehldau und Saxophonist Joshua Redman jeder für sich. Am Sonntag sind die Jazz-Genies in Hamburg als Duo zu erleben

Mehldau und Redman scheinen telepathisch miteinander zu kommunizieren

VON ROBERT MATTHIES

Die große Verlockung des Jazz ist zugleich seine große Gefahr: Die Lust am spontanen Ausdruck führt nicht selten zu einer eigentümlichen Willkür. Kompositionen bleiben vorläufig, formale und motivische Strukturen unscharf. Und eine zentrale Form des musikalischen Ausdrucks bleibt dabei außen vor: die Verknüpfung von großer Struktur und kleinen Details, ihre Kontinuität, der genau gezeichnete Weg vom Chaos zur Ordnung – gegen die sich schließlich der improvisierte Ausbruch des einzelnen Musikers richtet. Dabei sind die besten Solos immer jene, die präzise aufbrechen – einen präzisen Rahmen.

Jahrelang hat Brad Mehldau deshalb für sein letztes Jahr erschienenes Album „Highway Rider“ über jeder Menge klassischer Partituren von Brahms über Tschaikowski bis Strauss gebrütet. Um herauszufinden, wie der Drahtseilakt zwischen genau kalkulierter Komposition und größtmöglicher Autonomie, zwischen Kammermusik, Jazz und Jacques Brel, zwischen Streichern, Hörnern, Piano und Saxophon, zwischen Verlockung und Gefahr gelingen kann.

Wer neben ihm auf dem Album den zweiten Solisten geben sollte, war Mehldau hingegen sofort klar: Dass Joshua Redman wie kein Zweiter in der Lage sein würde, seine Kompositionen ebenso schnell zu erfassen wie er mit ihnen an den richtigen Stellen zu brechen in der Lage ist, weiß der längst als einziger legitimer Erbe des großen Bill Evans geltende New Yorker seit Mitte der 90er. Da nämlich saß er als junges, noch unbekanntes Talent im Quartett des damals schon als Jazz-Größe etablierten Redman an den Tasten – bis er wegen seiner aus den Fugen geratenen Heroinsucht aussteigen musste.

Derzeit sind die beiden ebenso kongenialen wie ungleichen Jazz-Genies als Duo zu erleben. Und sorgen mit ihrer gleichsam telepathischen Kommunikation überall für Standing Ovations. Dabei könnte die Spannung zwischen beiden nicht größer sein: Auf der einen Seite der entrückte und in sich gekehrte Ausnahmepianist, der sich mit ungewohnt gleichberechtigten und autonomen Virtuosen-Händen durch eine hermetisch geschlossene Welt zu bewegen scheint, auf der anderen Seite ein nonchalant-expressiver Redman, der auf jeden Impuls Mehldaus sofort zu reagieren weiß. Ganz sicher eines der unvergesslichsten Konzerte dieses Jahres.

■ Hamburg: So, 27. 11., 20 Uhr, Laeiszhalle, Johannes-Brahms-Platz 1