Nagellack ist nicht erlaubt

WELTKINO „Around the World in 14 Films“ holt Filme nach Berlin, die bei internationalen Festivals beeindruckten. Zum Beispiel „Bé omid é didar“ („Good Bye“) von dem iranischen Regisseur Mohammad Rasoulof

25 Prozent der Polizisten in Ciudad Juárez, sagt der Killer, arbeiten für die Kartelle

VON CRISTINA NORD

„Wenn man sich im eigenen Land als Fremder fühlt“, sagt die Anwältin Noura (Leyla Zareh), „ist es besser, in die Fremde zu gehen und sich dort als Fremder zu fühlen.“ Noura ist die Hauptfigur in Mohammad Rasoulofs Spielfilm „Bé omid é didar“ („Good Bye“), und sie trägt sich mit dem Plan, Teheran zu verlassen und ins Exil nach Europa zu gehen. Ihren Beruf auszuüben ist ihr untersagt. Weil es hilfreich ist, im Ausland ein Kind zur Welt zu bringen, wenn man ein Bleiberecht braucht, ist sie schwanger. Ihr Ehemann ist abwesend; wird Noura nach ihm gefragt, sagt sie, er arbeite im Süden. Aber das muss nicht stimmen, genauso gut kann ihr Mann inhaftiert sein. Oder untergetaucht.

„Bé omid é didar“ ist einer der Höhepunkt der Filmreihe „Around the World in 14 Films“, die heute beginnt und deren Ziel es ist, attraktive Beiträge zum Weltkino nach Berlin zu holen, Filme, die in Cannes, Venedig oder Locarno liefen, bisher keinen deutschen Verleih gefunden haben und wegen ihres geringen kommerziellen Potenzials vermutlich auch nicht finden werden. Rasoulof untersucht die Repression, die den Iran seit dem Frühsommer 2009, seit den gefälschten Wahlen und den Protesten dagegen, befallen hat; der Film ist eine dunkle, zwingende Studie der Unterdrückung. Er findet Bilder, die, ohne ihre Subtilität zu verlieren, plastisch machen, wie weit sich die Macht des Regimes in den Körper der Individuen hineinfrisst. Das fängt damit an, dass die Heldin sich vor einem Behördenbesuch den Nagellack entfernt, und reicht bis zu einer Schwangerschaft, die weniger dem Wunsch nach einem Kind entspricht, als dass sie dem Zweck dient, die Existenz in Europa abzusichern.

Dass es „Bé omid é didar“ überhaupt gibt, ist erstaunlich. Denn Rasoulof wurde wie sein Kollege Jafar Panahi im Dezember 2010 zu einer sechsjährigen Haftstrafe verurteilt, außerdem zu einem 20 Jahre währenden Berufs- und Ausreiseverbot. Das Urteil wurde im Oktober entschärft, Rasoulof muss nur mehr für ein Jahr ins Gefängnis, und laut einer Ankündigung der Festivalmacher wird er sogar nach Berlin reisen, um seinen Film persönlich vorzustellen. Das Strafmaß für Panahi hingegen wurde in all seiner Drastik bestätigt.

„Bé omid é didar“ ist nicht der einzige sehenswerte Film im Programm. In „Poetry“ zum Beispiel zeichnet der koreanische Regisseur Lee Chang-Dong das Porträt einer älteren Frau, die beginnt, Wörter zu vergessen, während sie zugleich einen Lyrik-Kurs besucht. Der Film verzeichnet auf bemerkenswert subtile Weise, wie die Heldin ganz allmählich aus ihrem Alltag heraus- und in die Demenz hineinrutscht. Und auch Raúl Ruiz’ mehrstündige Literaturverfilmung „Mistérios do Lisboa“ lohnt den Kinobesuch unbedingt. Ähnlich wie schon die Proust-Adaption „Die wiedergefundene Zeit“ (1999) legt sie ein Labyrinth aus Figuren und Geschichten an, mit zahlreichen versteckten Türen, Spiegeleffekten und Trugbildern. Der chilenisch-französische Regisseur verstarb im August, „Around the World in 14 Films“ tut gut daran, sein letztes großes Werk in Berlin zu zeigen.

Dokumentarisches ist mit Gianfranco Rosis und Charles Bowdens „El sicario – Room 164“ auch vertreten. Im Mittelpunkt steht ein „sicario“, ein Killer, der 20 Jahre lang für eines der Drogenkartelle von Ciudad Juárez gearbeitet hat, ausgestiegen ist und nun undercover lebt. Die beiden Filmemacher treffen den Mann in einem Motelzimmer irgendwo im Süden der USA, hier hat er, erzählt er, selbst schon gefoltert. Eine schwarze Kapuze verbirgt sein Gesicht, er ist recht dick, seine Kleidung schwarz, seine Ausführungen sind eloquent und detailliert. Während er redet, fertigt er Skizzen in einem Notizbuch an, malt Autos und Häuser, Pfeile und Linien, notiert Zahlen und Stichwörter. Manchmal steht er auf, um Foltermethoden nachzustellen. Man erfährt, wie er noch als Schuljunge rekrutiert und vom Kartell auf die Polizeischule geschickt wurde. 25 Prozent der Polizisten in Ciudad Juárez, sagt er, würden für die Kartelle arbeiten, deren Verbindungen reichten aber noch viel weiter: bis zu den Gouverneuren der mexikanischen Bundesstaaten.

Ein evangelikaler Mörder

In den letzten Minuten des Films offenbart der „sicario“ in einem jähen Gefühlsausbruch, was ihn gerettet hat: sein wiedergefundener Glaube an Gott und sein Eintritt in die Gemeinschaft der evangelikalen Christen. Man weiß an dieser Stelle nicht, was einen mehr gegen diesen Mann aufbringt: dass er so viele Menschen getötet hat oder dass die Erlösung für ihn so billig zu haben ist. Genauso wenig weiß man, warum die Filmemacher überhaupt nicht darauf reflektieren, dass sie einem Massenmörder gegenübersitzen, einem Mann, der ohne jeden Zweifel hinter Gitter gehört.

Ein wenig schade ist auch, dass ausgerechnet der Eröffnungsfilm „Mad Circus – Eine Ballade von Liebe und Tod“ von dem spanischen Regisseur Álex de la Iglesia so überhaupt nicht zu überzeugen vermag, zumal er in zwei Wochen ohnehin regulär ins Kino kommt. Er steht in der Tradition des Grand-Guignol und versucht sich an einer Art Teufelsaustreibung: Der Teufel ist der Franquismus, der Held ein trauriger Clown im Zirkus, auf den so lange eingeschlagen wird, bis er rotsieht – ein Rambo im Clownsgewand, das Gesicht so von Säure verätzt und von Brandwunden entstellt, dass die Clownsmaske zur Fratze auf Lebenszeit geworden ist. De la Iglesias Versuch einer phantasmagorischen Geschichtsschreibung wäre interessanter, verzettelte er sich nicht in einer plumpen Liebesgeschichte; doch auch dann hätte der Film noch das Problem, dass er sich dem Sadismus der Figuren viel zu bereitwillig in die Arme wirft.

■ „Around the World in 14 Films“. Bis 3. 12., Programm unter www.berlinbabylon14.net