Höhenflüge in Prosa

ESSAYS Der Autor Michael Lentz umkreist plaudernd und wissenschaftlich seine Poetik: „Textleben“

Michael Lentz, 1964 im rheinländischen Düren geborener Gegenwartsautor, ist nicht nur ein herausragender Romancier, Lyriker und Lautpoet, er ist auch ein bemerkenswerter Literaturwissenschaftler mit einem Lehrstuhl für Literarisches Schreiben an der Universität Leipzig. Bücher hat er schon einige geschrieben: die Prosaarbeiten „Muttersterben“, „Liebeserklärung“, „Pazifik Exil“, auch Theaterstücke und Gedichtbände. Sein erster, knapp 600 Seiten umfassender Essayband heißt nun „Textleben“ und enthält neben Vorlesungen, Festreden, Nachworten und Zeitungsartikeln Essays verschiedenster Couleur. „Über Literatur, woraus sie gemacht ist, was ihr vorausgeht und was aus ihr folgt“ lautet der Untertitel, der treffend zusammenfasst, worum es hier geht. Umkreisungen sind es, die Lentz betreibt, mal in Plauderton, mal wissenschaftlich, dann wieder lyrisch und aphoristisch.

Man erfährt, warum der Autor zu schreiben angefangen hat, aus Langeweile, Isolation und Traurigkeit. „Schreiben ist eine Krankheit, die man gerne loswerden würde“, heißt es, gleichzeitig habe es etwas mit „Begehren und mit Wollust“ zu tun. Bisweilen leidenschaftlich überschäumend unternimmt er intellektuelle Höhenflüge auf den Spuren von Roland Barthes und Jacques Derrida, aber auch von Thomas Mann, dessen Essays, wie die vorliegenden, ihre Poetik eher implizit, wie beiläufig generieren. Eine zentrale Rolle kommt der Lautpoesie zu, die schon Thema von Lentz’ Dissertation aus dem Jahr 1999 war und hier einmal mehr mit intimster Kenntnis erörtert wird. Der Band lässt sich aber auch als Bekenntnis zur Moderne lesen, der bereits in dem Künstlerroman „Pazifik Exil“ gehuldigt wird. Nun sind es Gottfried Benn, Rainer Maria Rilke und die Fernsehspiele Samuel Becketts, die eine breite Würdigung erfahren, Robert Walser über allen bekommt die „Prosakrone“ aufgesetzt.

Geht es ums eigene Schaffen, gibt sich der Autor verblüffend selbstkritisch, „Pazifik Exil“ nennt er eine „Fetischsammlung, deren Spur sich verliert“. Eine Fetischsammlung ist auch dieser Essayband, allerdings eine, in der viele Spuren originell zusammenlaufen. Es beginnt mit einem Faustschlag – im Kontext einer metaphorischen Annäherung an das Thema Boxen. Und das ist, was dieses Buch letztlich ist, ein literarischer Faustschlag – und nicht nur für Spezialisten. TOBIAS SCHWARTZ

Michael Lentz: „Textleben“. Fischer, Frankfurt am Main 2011, 576 Seiten, 24,95 Euro